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Schnee an der Riviera

Schnee an der Riviera

Titel: Schnee an der Riviera
Autoren: Rosa Cerrato
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dem Dach.«
    »So ist es«, bestätigte Nelly.
    »Angesichts der Tatsache, dass es momentan keinerlei Anlass gibt, gegen ihn zu ermitteln, spricht für mich nichts dagegen, dass Sie den Fall übernehmen. Sollte dabei etwas herauskommen, was Ihren Jungen belastet, ist das natürlich etwas anderes.«
    »In Ordnung, danke, Dottor Esposito.«
    »Aber der dickste Hund ist diese schreckliche Sache mit Mandelli. Wie kann ein derart erfahrener Beamter einen so eklatanten Fehler begehen? Dieser arme Junge, abgeknallt wie ein Köter, und jetzt wird sich die ganze Stadt auf uns stürzen. Als würde die Presse nur darauf warten, die Polizei in den Dreck zu ziehen. Wir sollen sie schützen, und wehe, wenn nicht, aber kaum macht einer von uns einen Fehler, dreschen alle auf uns ein ...«
    Während Esposito sich weiter in Rage redete, saß Nelly schweigend daneben und versuchte, wieder Ordnung in ihre Gedanken und Gefühle zu bringen. Dauernd hatte sie Francis leblosen Körper vor Augen, der sich in den ihres Sohnes verwandelte. Und dass Mandelli auf Franci geschossen haben sollte, erschien ihr genauso absurd wie vieles andere an diesem irrwitzigen Tag: Ausgerechnet ein so nüchterner, bedachter Mann wie Mandelli, der alles andere als ein Rambo war. Die Ruhe in Person.
    »Es ist noch nicht endgültig geklärt, ob der Junge durch Mandellis Schuss zu Tode gekommen oder vor Schreck vom Dach gestürzt ist. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt die Identifizierung von Fr... des Opfers durch dessen Eltern veranlassen, Mandelli befragen, sollte er sich inzwischen beruhigt haben, mir Mau... den anderen Jungen noch einmal vornehmen, außerdem ist die Spurensicherung noch am Tatort zugange. Wenn Sie mich also entschuldigen würden.«
    »Solange nicht alles restlos aufgeklärt ist, ist Mandelli natürlich vom Dienst suspendiert und soll sich zur Verfügung halten. Und dass Sie mich bloß auf dem Laufenden halten, ich muss nämlich den Polizeichef informieren, der buchstäblich die Wände hochläuft. Und bitte, kein Sterbenswörtchen gegenüber der Presse.«
    »Selbstverständlich«, versicherte Nelly und verließ das Büro.
    Wie eine gequälte Seele saß Wachtmeister Mandelli in Nellys Büro und konnte sich nicht beruhigen. Seine Hände zitterten.
    »Dottoressa Rosso, ich bin ein gebrochener Mann. Ich bin am Ende, das werde ich mir niemals verzeihen.«
    Seine Augen waren gerötet. Nelly wusste, dass er ehrlich war.
    »Die Ermittlungen stehen noch ganz am Anfang, Mandelli. Beruhige dich, dadurch wird die Sache auch nicht besser. Wir sind noch nicht einmal sicher, ob Francesco Bagnasco überhaupt getroffen wurde, ehe er vom Dach stürzte.«
    »Und was soll das ändern? Ich habe einen Jungen umgebracht, ein halbes Kind ... selbst wenn ich ihn nicht getroffen habe und er vor Schreck hinuntergefallen ist.« Er vergrub das Gesicht in den Händen.
    »Geh nach Hause, nimm ein Beruhigungsmittel, und morgen solltest du unsere Psychologin aufsuchen.«
    Bei dem Wort »Psychologin« brach Mandelli in haltloses Schluchzen aus. Es war, als wäre er in einem Albtraum gelandet – und nicht nur er.
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    1 Mit Steinen gepflasterter, von Trockenmauern eingefasster steiler Weg

ERSTER TAG
Nachmittag
     
    Schmächtig und verloren lag Francesco Bagnasco in der gerichtsmedizinischen Abteilung des San-Martino-Krankenhauses auf einem Tisch und sah höchstens wie dreizehn oder vierzehn aus. Der Kopf war zertrümmert, das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Nelly musste all ihren Mut zusammennehmen. Draußen warteten die Eltern. Sie kannte sie, wie man Eltern von Freunden der Kinder eben kennt. Man traf sich vor der Schule, bei den Elternabenden, bei Geburtstagspartys und bei den Pfadfindern. Sogar bei den Pfadfindern waren Franci und Mau zusammen gewesen und vor zwei Jahren gemeinsam ausgetreten. Nelly und Francis Eltern duzten sich, schließlich saß man im selben Boot, war ungefähr gleich alt und in der gleichen Lage ... Doch jetzt waren sie nicht mehr in der gleichen Lage. Franci war gestorben, und unter welchen Umständen! Und Mau war am Leben. Obwohl sie wusste, wie abwegig solch ein Gedanke war, hatte Nelly fast ein schlechtes Gewissen. Wie würde sie sich an deren Stelle fühlen? Würde sie sie hassen, weil sie noch immer hätten, was sie selbst für immer verloren hätte? Und dazu nicht durch einen »normalen« Unfall, sondern auf derart tragische Weise, in die auch noch die Polizei verwickelt war, und sie war die Polizei.
    Sie öffnete die
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