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Schneckenmühle

Schneckenmühle

Titel: Schneckenmühle
Autoren: Jochen Schmidt
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man es nicht wieder verlernt. Ich kann es gar nicht glauben, Mischen, Käuzchenruf, Fliegenfangen und jetzt auch noch Tanzen, ich habe in so kurzer Zeit so viel gelernt wie noch nie im Leben. Ich bin stolz, daß ich Henriette beschützen soll. Sie ist schon Studentin, das sind die Jugendlichen, die nach Prag trampen, mit einer Mundharmonika am Gürtel, für lange Nächte auf der Karlsbrücke. Ich habe ein schlechtes Gewissen, daß ich mich ohne Peggy so wohlfühle.
    Weil es nach Regen aussieht, machen wir uns auf den Rückweg. In der Dunkelheit halten wir uns nah am Straßenrand. Seltsam, daß man nachts so munter wird, alles ist viel schöner und aufregender, eigentlich müßte immer Nacht sein. Ich gehe neben Henriette, und wir reden über die Beatles. Sie weiß, daß bei denen gar nicht immer der gleiche singt, dabei hört man doch gar keinen Unterschied. Mein Lieblingslied ist «Rocky Raccoon», das kennt sie nicht. Ich habe bei der Platte, die eigentlich meiner Schwester gehört, schon x-mal den Anfang vom Lied abgespielt, um zu versuchen, den Text genauso schnell mitzusprechen wie der Sänger. Das klingt so westernmäßig lässig. Wenn man Englisch könnte, es wäre ja schon interessant, einmal zu wissen, was sie eigentlich sagen in den Liedern.
    «Was meinst du eigentlich, wo Peggy ist?» fragt mich Henriette.
    «Wieso?»
    «Vielleicht haben wir nicht gründlich genug gesucht?»
    «Mir hat sie gesagt, sie fährt zu ihrer Mutter.»
    «Und warum sollte sie das ausgerechnet dir sagen?»
    «Weil sie bei mir im Krankenzimmer war.»
    «Und warum sollte sie ausgerechnet dich besuchen im Krankenzimmer?»
    «Weiß ich doch nicht.»
    «Warst du schon mal verliebt?»
    Ich bekomme einen Schreck. Warum fragt sie mich das? Kann sie Gedanken lesen? Wie soll ich darauf antworten? Ich habe Angst, daß sie sich in mich verliebt haben könnte.
    «Ich weiß nicht. Woran merkt man das denn? Außer, daß man es dann eben weiß …»
    «Wenn deine Brille beschlägt.»
    «Ich hab doch keine Brille.»
    «Dann mußt du deinen Puls messen, wenn du an das Mädchen denkst.»
    «Ich dachte, man muß auf so ein Spezialpapier pinkeln.»
    Es regnet heftig, und wir sind schnell durchnäßt. Manchmal flackert der Himmel hell, und es donnert wenig später. Ein Auto kommt uns entgegen, die Scheinwerfer blenden. Es ist der Fahrer, er holt uns mit seinem Barkas ab, so einem, wie sie auch als Krankenwagen oder als Begleitfahrzeug bei der Friedensfahrt benutzt werden. Man hat uns mal wieder gerettet, im Faradayschen Käfig sind wir sicher. Ein paar kommen auf die Rückbank, ein paar in den Kofferraum. Beim Losfahren öffnet sich die Kofferraumtür, und Dennis fällt raus, alle lachen, was für ein Stunt! Die Mädchen singen: «
Lenchen ging mit 14 Jahren in den tiefen Wald, ihr Verfolger war ein Jüngling, 19 Jahre alt. Ja, ja, ja, ach ja, es ist traurig, aber wahr, denn, denn, denn, ja denn, sie war erst 14 Jahr.
»
    Es ist so eng, daß ich zwischen Henriettes Beinen sitze und sie mich von hinten umarmt. Ich bemühe mich, nicht die Haut ihrer nassen Oberschenkel zu berühren, aber sie nimmt meine Hände und legt sie sich auf die Knie. Wegen der Dunkelheit kann es keiner sehen. Ich versuche, die Bewegungen des Autos auszugleichen und die Hände ruhig zu halten, damit der Druck der Berührung sich nicht verändert, weil es sonst so aussieht, als würde ich sie anfassen oder als würde ich merken, daß es peinlich ist, und meine Hände von ihren Beinen lösen.

34 «Was ist denn?»
    «Nichts.»
    Wir sitzen auf der braunen Decke und schweigen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es wird immer bedrückender, je länger man wartet. Sie ist plötzlich ganz anders zu mir, als hätte
ich
ihr die Haare abgeschnitten.
    «Was ist denn?»
    «Das interessiert dich doch gar nicht.»
    «Wieso denn?»
    «Das merke ich.»
    «Was denn?»
    «Ist doch egal.»
    «Tanzen wir morgen?»
    «Du mußt das nicht sagen.»
    «Aber ich will doch.»
    «Das sagst du nur, weil du denkst, ich bin eingeschnappt.»
    «Warum bist du denn eingeschnappt?»
    «Bin ich gar nicht. Es ist nur alles so traurig.»
    Wenn ich sie jetzt küsse, sind wir ein Paar und müssen es vor allen anderen zugeben. Das ist dann passiert, mankann dann die Zeit nicht mehr zurückdrehen. Im Film pressen sie immer so die Gesichter aufeinander, daß man gar nichts mehr von den Mündern sieht, und machen kreisende Bewegungen mit der Nase. Oder der Mann nimmt den Arm der Frau und küßt sie von der Hand immer höher
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