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Schneckenmühle

Schneckenmühle

Titel: Schneckenmühle
Autoren: Jochen Schmidt
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aufgefangen.
    «Bist du schon wach?»
    «Bei mir schläft immer nur eine Gehirnhälfte.»
    «Ich war auf Toilette.»
    «Nykturie?»
    «Was?»
    «Ach so, du willst ja auf die
Mathe
schule …»
    «Verpetzt du mich?»
    «Was soll ich denn sagen?»
    «Weiß ich nicht. Was weißt du denn?»
    «Ich weiß, daß ich nichts weiß.»
    «Versprichst du mir, daß du nichts sagst?»
    «Nur, wenn du mich Großwesir nennst.»

31 Vielleicht wollen uns die Leiter nicht verunsichern, deshalb wird einfach mit dem Plan weitergemacht. Wir bestehen darauf, daß unsere Nachtwanderung stattfindet, wozu haben wir sonst die Taschenlampen mit? Manche haben den Stiel ihrer Artas-Taschenlampe mit einem zweiten Stiel verlängert, so daß noch mehr Batterien reinpassen und das Licht heller wird. Marko hat eine flache Armee-Lampe, bei der man drei bunte Folien vor die Birne schieben kann. Meine Taschenlampe habe ich von meinem Vater, sie ist ziemlich alt, und es steht «Daimon» drauf. So hieß die Artas-Fabrik früher, als meine Mutter noch Studentin war und für diese Firma im Ferienlager gearbeitet hat. An einem Abend ist sie mit dem Fahrrad 20 Kilometer nach Arnstadt und wieder zurück gefahren, um im Kino den Film «Die Frau meiner Träume» mit «Marie Karöck» zu sehen.
    Es wird immer unangekündigt gewandert, in irgendeiner Nacht gibt es Feueralarm, alle rennen auf die Wiese, Kompaßund Sani-Tasche werden verteilt, und dann geht es gruppenweise in den Wald. Wir bekommen einen Tip und legen uns mit Sachen schlafen. Taschenmesser und Taschenlampen griffbereit. Als die Sirene heult, wissen wir, weshalb, aber es ist trotzdem sehr beängstigend, ein bißchen wie im Krieg.
    Es ist derselbe Wald wie am Tag, derselbe Weg, aber jetzt ist es so dunkel, daß wir uns ganz nah an Jörg halten. Der Wald ist wie ein großes Lebewesen, in dessen Bauch man sich bewegt, es darf uns nicht bemerken. Im Dunkeln kämpfen die bösen Geister mit unseren namenlosen Beschützern. Es ist völlig offen, wer gewinnt und ob unser letztes Stündlein geschlagen hat. Man darf auf keinen Fall den Glühwürmchen folgen, die führen einen sonst ins Moor, wo man die Leichen aufwecken würde.
    Immer, wenn man sich umdreht, haben sich die Monster schnell hinter den Stämmen versteckt, und nichts bewegt sich. Ich glaube ja an Gott, deshalb kann mir eigentlich nichts passieren, außer, wenn es ihn nicht gibt. Aber wenn er zeigen will, daß er unparteiisch ist und alle Menschen gleich liebt und gerade deshalb einen Gläubigen opfert, um die Ungläubigen zu überzeugen? Ist da irgendwo eine Hand zu sehen? Mit roten Fingernägeln? Ich singe im Kopf: Tomatensalattomatensalattomatensalattomatensalat … Als könnte einem nichts Schlimmes passieren, solange man sich albern benimmt.
    Wir orientieren uns mit dem Kompaß und Marschrichtungszahlen. Ameisen bauen ihre Haufen meistens auf der Südseite der Bäume. Ameisen, die Polizei des Waldes. Jörg muß uns von der See erzählen, und wie er einmal in RotterdamLandgang hatte. Hat er Arbeitslose gesehen? Würde er in den Westen abhauen? Aber das geht sicher gar nicht mit Gipsarm? Gibt es noch Piraten? Und Fliegende Fische? Mußte er Senf trinken bei der Äquatortaufe? Hatten sie schon mal einen blinden Passagier?
    «Stimmt es, daß die Erde rund ist?»
    «Logisch ist die rund, das sieht man doch am Globus.»
    «Ich kann mir das irgendwie gar nicht vorstellen, daß sich die Erde jetzt gerade dreht, mit uns drauf. Da müßte man doch eigentlich immer so im Fahrtwind stehen, wie wenn man sich aus dem Zug hängt.»
    «Kolumbus war gar nicht der erste Mensch in Amerika, das war ein Wikinger, Erik der Rote.» «Erich der Rote?»
    «Habt ihr auch einen Anker gehabt, Jörg?»
    «Unten im Schiff drin sammelt sich die ganze Pisse.»
    «Quatsch, die wird doch ins Meer gekippt.»
    «Ih, und da badet man dann drinne.»
    «Und wenn einer stirbt, wird der Sarg versenkt.»
    «Ich will auch Seemann werden, da kann man in einer Hängematte schlafen.»
    «Da muß man voll viele Knoten können.»
    «Bleibt mal stehen, ich hab was gehört …», sagt Jörg.
    Wir verstummen.
    «Seid ihr schreckhaft …», sagt Jörg und lacht. Jetzt komme doch erst die eigentliche Mutprobe. Er werde ein Stück vorausgehen, und wir sollen ihm einzeln folgen. Oder wolle wer kneifen? Wollten wir uns lieber doch als Micky Maus verkleiden?
    Ist das nicht der «Silberweg»? Dürfen wir denn da langgehen? Jörg steigt über den Zaun und verschwindet in der Dunkelheit. Jetzt können
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