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Schmidts Bewährung

Schmidts Bewährung

Titel: Schmidts Bewährung
Autoren: Louis Begley
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Versicherungsheinis und die Streber in deinem Büro geschmissen hast. Und da hab ichJon kennengelernt! Paßt schon, daß du das vergessen hast. Wahrscheinlich wünschst du dir, es wäre nie passiert.
    Schmidts Fußgelenk, das einigermaßen Ruhe gegeben hatte, seit er sich gesetzt hatte, fing an zu pochen. Er bückte sich und rieb es einen Augenblick lang mit Daumen und Zeigefinger. Es hatte wirklich keinen Sinn, sich von ihr provozieren zu lassen.
    Sieh mal, Charlotte, erklärte er, das Essen hier ist besonders köstlich. Wir müssen uns den Genuß doch nicht durch Zank verderben. Laß uns in Frieden essen und dann beim Kaffee bereden, was mit dir und mir los ist. Weil heute mein freier Tag ist, kann ich mir sogar einen Kognak gönnen. Bis dahin erzählst du mir, wie es Jon mit seinem neuen Job geht, aber wir können auch vom Wetter, vom Aktienmarkt oder vom Kino reden, wenn dir das lieber ist.
    Er schlug denselben Ton an und wählte dieselbe überlegte Diktion, die damals beruhigend gewirkt hatten, in dem Sommer, als sie knapp zehn war und nach jeder Reitstunde Wutanfälle hatte – sie weinte und keuchte dermaßen hemmungslos, daß Mary und er Sorge hatten, sie würde Asthma bekommen –, wenn ein anderes Mädchen, ein Jahr jünger und ungefähr halb so groß wie sie, einen aufregenderen Ponyritt absolvieren durfte oder enthusiastischer als sie für die kleinen Übungssprünge gelobt wurde, an denen sie arbeiteten. Ein Pawlowscher Reflex auf einen Reiz? Unwillkürliches Gedächtnis? Ihm war das gleichgültig. Sie begann, die Vorzüge von Jons neuer Kanzlei hervorzuheben: Wenn man bedenke, daß Jon so viele Jahre bei W&K zugebracht und, abgesehen von der Arbeit als Berater im Fußballcamp, nie eine andere Stelle gehabt habe, dann sei es doch ganz komisch, wie schnell er sich nun zu Hause gefühlt habe, es mache ihm nichts aus, daß die Arbeitszeiten entsetzlich lang waren, daß die Arbeit härter sei als alles, was er in der alten Kanzlei habebewältigen müssen, es störe ihn nicht, daß die Sozii einander ankeiften und anbrüllten, denn sie seien wie eine große Familie – die Sozii, die Mitarbeiter, die Sekretärinnen, alle gehörten dazu. Nicht wie diese Gentlemen – das Wort sprach sie voller Verachtung aus – bei W&K, die ihn gar nicht schnell genug verurteilen konnten und nie daran gedacht hatten, ihm eine Chance zu geben.
    Mag sein, dachte Schmidt. Im Januar beim Mittagessen in der Stadt hatte der subtil vorsichtige Lew Brenner die eine oder andere Andeutung gemacht, die eine derartige Interpretation vielleicht nicht ganz ausschloß. Schmidt lächelte Charlotte an und sagte: Das ist ausgezeichnet. Ende gut, alles gut. Ich wünsche ihm viel Glück und Zufriedenheit. Jetzt laß uns zu unserem zurückgestellten Thema kommen. Reden wir über dich und mich. Warum behandelst du mich so schlecht? Ich habe auf der ganzen weiten Welt nur dich, sonst niemanden.
    Du vergißt Carrie, höhnte sie.
    Laß Carrie aus dem Spiel. Bitte, gib mir eine Erklärung.
    Willst du es wirklich wissen? Weil – mir ist, als hätte ich nie einen Vater gehabt. Du warst mit Mom verheiratet, du hast sie nicht immer anständig behandelt – und wenn du kurzzeitig nicht im Büro warst, hingst du im Haus herum. Sicher, du hast meine Ausbildung finanziert, oder vielleicht hat Mom ja auch einen Teil davon bezahlt. Das ist mir egal. Ist das denn alles, was ich erwarten durfte? Wann hast du dich wie ein Vater benommen? Ich wußte nicht, wie Familien sind, und so hab ich gedacht, dies sei irgendwie normal – vielleicht brauchte nur Mom ein menschliches Wesen zu sein. Jetzt weiß ich es besser. Ich habe gesehen, wie es ist, wenn die Rikers zusammen sind. Ist dir klar, daß sie tatsächlich miteinander reden? Myron versteht, was in Jons Kopf vorgeht, was er tut, was er will. Mit Jons Bruder ist es genauso. Sie haben nicht nurRenata. Sie haben einen Vater, zu dem sie kommen können. Zu ihm kann sogar ich gehen. Kannst du dir das vorstellen? Mit dir geht nichts, null. Na ja, jetzt hab ich’s dir erklärt. Das ist es, was mich krank macht. Schlecht wird mir davon. Zum Kotzen find ich es.
    Er sah sich um, fing den Blick des Oberkellners auf, bestellte noch einen Kaffee und einen Kognak – sie lehnte beides ab – und überlegte, was er ihr erklären könnte.
    Schließlich wagte er einen Vorstoß: Charlotte, ist das wirklich wahr? Ich erinnere mich an so viele Unterhaltungen, so viele Unternehmungen, wir sind in alle möglichen Museen gegangen, in
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