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Schmidts Bewährung

Schmidts Bewährung

Titel: Schmidts Bewährung
Autoren: Louis Begley
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die Oper, ins Konzert, ich weiß noch, daß ich dir so viele Male geholfen habe, wenn du dachtest, du säßest fest, sogar bei deinen Hausaufgaben in Latein. Und wir waren zusammen am Strand. Das war ich, nicht Mom. Von mir hast du gelernt, wie man mit der Brandung umgeht. Oder Tennisspielen. Wer hat dich meistens zum Stall gefahren? Das kann doch nicht alles wertlos oder ohne Bedeutung gewesen sein. Ich verstehe das nicht.
    Das sehe ich schon ein. Ich sage ja auch nicht, daß du nicht die üblichen formalen Pflichten erfüllt hättest. Das Problem ist, daß alles eben nur pro forma war. Mit den Gedanken warst du woanders. Bei deiner super Kanzlei. Bei Mom. Oder bei Gott weiß welcher Frau, die du nebenher genagelt hast. Weißt du eigentlich, daß du mir in deinem ganzen Leben nie, buchstäblich nie etwas zu sagen wußtest? Keine tiefe Einsicht, kein weises Wort. Sicher, in allem Technischen warst du perfekt. Du hast dich gekümmert, welchen Zug oder welches Flugzeug ich nehmen sollte. Daß ich zum Zug oder Flughafen komme. Daß ich bei der Ankunft abgeholt werde. Daß Miss Schmidt auch bestimmt die richtigen Reiseschecks hat. Und das hast du nicht mal selbst gemacht. Das hat deine gottverdammteSekretärin erledigt! Und du denkst, ich könnte vergessen, was du Mom angetan hast.
    Nichts konnte er tun. Sich verabschieden. Aber wenn er dieses Gespräch abbrach, dann verurteilte er sich selbst zu einem Albtraum, der noch schrecklicher wäre, als jetzt weiter zuzuhören.
    Liebes, sagte er, die Geschichte mit deinem Babysitter bereue ich heute noch. Und mehr denn je, seit ich weiß, daß du wußtest, was sich da abgespielt hat. Aber Mom hat mir verziehen. Wir haben zusammengehalten – das stand keinen Augenblick in Frage, sie wollte das genauso wie ich –, und wir haben weiter eine gute Ehe geführt. Bis zum Schluß. Ich möchte meinen, daß du inzwischen genug über Männer und Frauen und Sex weißt, um solche Affären zu begreifen. Man kann sie verzeihen. Manchmal werden sie verziehen. Schließlich habt ihr, du und Jon, euch doch auch verziehen.
    Sie unterbrach ihn: Wir haben keine Kinder, wie du weißt.
    Ihr habt keine Kinder, ich weiß es, und dadurch war das letzte Jahr sicherlich leichter. Aber laß mich bitte ausreden. Das übrige, ich weiß nicht einmal, wie ich es bezeichnen soll – daß es mir nicht gelungen ist, dir mehr beizubringen, dir besser zuzuhören, wirklich, ich bin ratlos –, das ist etwas, worüber ich mir mehr Sorgen gemacht habe, als du ahnen kannst. Schau, ich bin ich und kein anderer. In den Jahren, von denen du sprichst, habe ich sehr hart gearbeitet. Ich habe versucht, ein erfolgreicher Anwalt zu sein, und ich nehme an, Jon macht es genauso, und das wird so bleiben, selbst wenn ihr Kinder habt. Und ich bin kein entspannter, kommunikativer Mensch. Ich bin nicht wie Mom. Auch nicht wie die Rikers. Aber ich habe immer und immer versucht, gut mit dir umzugehen, und vielleicht hast du sogar gemerkt, daß ich dich liebe. Natürlich,das ist meine Liebe, nicht die eines anderen, nicht die Liebe eines idealen Vaters. Kannst du mich denn nicht nehmen, wie ich bin?
    Wenn ja, weiß ich nicht, wohin das führt. Nicht, wohin du möchtest. Das ist meine Meinung.
    Er bat um die Rechnung und zahlte.
    Aber du wolltest mich sehen, dafür mußt du doch einen Grund gehabt haben. Sag ihn mir. Ich bin mit meiner Weisheit am Ende.
    Sie nickte. Ich kann auch nicht mehr, sagte sie. Ich wollte dir einfach nur sagen, was ich denke.
    Dann erzählte sie, daß sie noch ein paar Tage in Paris bleiben würde, danach wollten sie und Jon langsam und mit vielen Unterbrechungen nach Nizza fahren und von dort aus nach New York fliegen. Er hörte aufmerksam zu und bat sie, sich am nächsten Tag mit ihm an einer Parkbank zu treffen. Sie noch einmal zum Essen einzuladen, wollte er nicht wagen.
    Er war sehr früh dort, suchte sich einen Klappstuhl dicht am Bassin, das vollständig in der Sonne lag, und wartete. Die Zeitung hatte er schon morgens gelesen. Es wäre ihm ohnehin absurd vorgekommen, Lesestoff mitzubringen. Viel besser, mit dem Stock Linien und Kreise in den Sand zu zeichnen. Er sah sie von weitem, sie ging schnell und schwang eine kleine Handtasche, die wie die Miniaturausgabe einer Arzttasche aussah. So herrlich amerikanisch: Er bewunderte ihre Bluejeans und die braune Wildlederjacke, die dunkle Sonnenbrille, die sie sich ins Haar hochgeschoben hatte, so wie man früher Motorradbrillen trug. Wahrscheinlich hatte sie ihn
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