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Schmidts Bewährung

Schmidts Bewährung

Titel: Schmidts Bewährung
Autoren: Louis Begley
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Gelegentlich hatte ihn seine Pflichterfüllung so weit gebracht, mit Todesverachtung, wie bei einem Himmelfahrtskommando im Weltkrieg, eine kichernde, kreischende Olga Crussel in die Brandung zu treiben und mit beiden Händen hochzustemmen, damit sie gefahrlos in den Brechern auf und ab schaukeln konnte. Diese Heldentaten gaben ihm im Hause Crussel den Nimbus eines kühnen Schwimmers von unerschöpflicher Kraft und verliehen ihm auch darüber hinaus Autorität: Wenn Schmidt gelegentlich bemerkte, daß sein Kollege Murphy durchaus vertrauenswürdig sei und genau wisse, was er tue, wurdedies ganz nebenbei Gesagte wie die Offenbarung einer Wahrheit vernommen.
    Schmidt erinnerte sich mit Vergnügen daran, daß das Haus, das jetzt Mr. Mansour gehörte, eines der wenigen Objekte gewesen war, zu denen die Crussels ihn nicht um seine Meinung gebeten hatten. Ein brasilianischer Architekt, Gewinner eines Wettbewerbs und Freund einer Crussel-Nichte, hatte es entworfen. Er war einmal zur Feier des vierten Juli mit ihr übers Wochenende zu Besuch gekommen und hatte in dem geräumigen Schindelbau übernachtet, der auf dem Grundstück stand und Crussels Strandhaus war, seit sie in den Hamptons wohnten. Er taxierte seine Chancen für einen neuen Auftrag – das beträchtliche Vermögen wurde zwar nicht zur Schau gestellt, blieb dem geübten Auge aber kaum verborgen – und machte eine flüchtige Skizze eines Traumhauses, das er, wäre er Eigentümer des Grundstücks, an die Stelle ihres jetzigen phantasiearmen Heims setzen würde: eine großzügige, gefällig fließende aquatische Konstruktion, die Olga Crussels eigentlichem Selbst entsprach, samt Empfangsräumen und Dachterrassen für größere Einladungen, mit freiem Blick über den Ozean und die Mecox Bay, die diesen erstaunlichen Grundbesitz umgrenzten. Olga schluckte den Köder. Jean Crussel, dessen Familie seit den Zeiten Calvins eine Säule des Genfer Patriziats war, konnte ein Wunder an Schnelligkeit sein, wenn er wirklich einen Entschluß fassen wollte. Außerdem war er seiner Frau ganz ergeben. Die Entscheidung fiel auf der Stelle, ohne daß Murphy oder Schmidt oder Olgas Lieblingsinnenarchitektin auch nur angerufen wurden. Das Cottage wurde in einer einzigen entsetzlichen Woche abgerissen, aber der Bau des neuen Hauses zog sich hin. Die Aufgabe, es bezugsfertig zu machen und den Einzug zu organisieren, wurde zum Wettlauf gegen Senilität undTod. Das Greisenpaar gewann die erste Runde: Bevor die Truppe der rund um die Uhr arbeitenden Haushälterinnen und Krankenschwestern einquartiert werden mußte, hatten die beiden zwei Jahre Zeit, auf immer neuen Partys immer wieder das Modell des Brasilianers vorzuzeigen; Schmidt hatte das alte Cottage, dem sonst keiner eine Träne nachweinte, allmählich liebgewonnen und reagierte deshalb vielleicht etwas unangebracht: In seinen Augen glich das neue Machwerk am ehesten einer Mischung aus einem Motel und einem gestrandeten, von einem betrunkenen Steuermann achtlos auf Sand gesetzten Ozeandampfer.
    Jean und Olga waren kinderlos; ihre Erben, Verwandte in der Seitenlinie, besaßen vollkommen angemessene Sommerhäuser in der Nähe und anderswo. Sie schrieben den Besitz zum Verkauf aus und warteten jahrelang, denn sie waren, wie sehr Reiche meist, nicht willens, den Preis zu senken. Daß ein noch finanzkräftigerer Neureicher schließlich die Taschen der Erben mit Bargeld gefüllt hatte und vermutlich weitere Millionen in die verschandelte Düne zu stecken bereit war, mußte für das Baugewerbe vor Ort und für Unternehmer in New York, London und Paris sehr günstige Auswirkungen haben. Vielleicht sogar für die Weltwirtschaft. Schmidt stellte sich vor, daß Mr. Mansour verschiedene heimliche Verbesserungen bereits wieder rückgängig gemacht hatte, die Jean Crussel vornahm, sobald der Brasilianer, durch Aufträge für weitere Meisterwerke in Anspruch genommen, den Rücken gewandt hatte: ferngesteuerte Schalter zum Öffnen und Schließen der Jalousien in den Schlafzimmern und selbsttätige Vorrichtungen, welche die Lamellen ohne menschliche Mitwirkung je nach Einfallswinkel der Sonne mehr oder weniger schräg stellten; Aluminiumrampen und rutschfeste Auflagen, die an strategisch wichtigen Stellenauf dem Boden im Haus und auf der Pooleinfassung plaziert waren, um einem Sturz vorzubeugen, bei dem kalkarme Knochen in Scherben splittern könnten; der kleine Bühnenraum mit dem runden Tanzboden, auf dem Jean und Olga unter Aufsicht einer
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