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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Covet. »Vielen Dank! Und beeil dich.«
    Gespräch beendet.
    Kopfschüttelnd steckte ich das Handy ein. Zog mich an,
schaltete den Fernseher aus, versuchte der leeren Bierflasche einen letzten
Tropfen zu entlocken. Mein Freund Covet hätte sich wahrscheinlich ein
stringenteres Vorgehen gewünscht, doch mich hielt das Gespinst aus Traum,
Fernsehprogramm und Telefonat noch gefangen. Erst mal wach werden. Die Kälte
draußen würde es schon richten. Außerdem musste ich nachdenken. Hatte Marc mit
einem Sterbenswörtchen erwähnt, wo er sich gerade befand? Hatte er nicht.
    Ich holte mein Rennrad aus dem Keller – es sollte ja schnell
gehen, nicht wahr? –, schwang mich auf den Sattel und fuhr stadteinwärts. Es
war lausig kalt. Nach 50 Metern sah ich eine gefrorene Pfütze im Licht der
Straßenlampen glänzen. Keine Zeit mehr zu bremsen. Ich rutschte und flog hin,
Gesicht voraus. Etwas knackte in meiner Brusttasche: das Handy.
    Verwünschungen gegen Covet ausstoßend, sprang ich auf.
Immerhin, nun war ich endgültig wach.

     

Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

1
    Auf der Theodor-Heuss-Brücke wurde ich von einer
Straßenbahn überholt. Vereinzelte müde Gesichter darin, eingehüllt in Schals
und Mützen. Blaue Funken sprühten in den Nachthimmel. Die Oberleitungen
vibrierten. Ich kreuzte die Schienen und schlug den Weg in die Altstadt ein.
    Dieser Bernd Nagel gehörte nicht zu meinen Bekannten, da
hatte Marc unrecht. Er gehörte zu seinen Bekannten, zu den vielen
Heidelberger Wichtigtuern, mit denen ich nichts anfangen konnte. Von Nagel
wusste ich bloß, dass er etwas mit dem Städtischen Orchester zu tun hatte. Kein
Musiker, sondern eine Art Manager. Und sein Zimmer, von dem Marc gesprochen
hatte, musste sich im Verwaltungstrakt des Stadttheaters befinden. Wo genau,
würde ich schon herausfinden.
    Mein linker Ellenbogen schmerzte von dem Sturz. Hoffentlich
hatte das Handy nichts abgekriegt. Es wäre ein herber Rückschlag für mein
aufrichtiges Bemühen, mich den Erfordernissen der Zeit anzupassen. Covet würde
eine sehr gute Begründung brauchen, warum er mich um diese Uhrzeit durch die
Kälte jagte.
    Nun ja, eine Leiche ist ein guter Grund.
    Ich passierte die Stadthalle und bog vor dem Marstall rechts
ab, Richtung Theaterplatz. Menschen in Abendgarderobe unter ihren Wintermänteln
huschten vorbei, ein Taxi rollte an, vor dem Theatergebäude hing ein langes
Banner bewegungslos herab. Die Hochzeit des F igaro , las ich. Unter dem
Banner parkte ein Streifenwagen. Sie waren also schneller gewesen.
    Ich schloss mein Rad an
einen Laternenmast und öffnete eine der beiden gläsernen Flügeltüren, um ins
Foyer zu gelangen. Das Foyer, ein kreisrunder Lichthof, bildet die
Schnittstelle zwischen Bühnenhaus und Verwaltungstrakt; außerdem führen von
hier aus Türen in die Unterwelt des Theaters, zu den Werkstätten, den Schminkzimmern,
den Umkleideräumen und zum rückwärtigen Künstlereingang, der sich zur
Friedrichstraße hin öffnet. Krakenartig ist alles durch Gänge und Treppen
miteinander verbunden, ein Miniaturmodell der durchlöcherten, unterkellerten
Heidelberger Altstadt.
    Von einer Garderobendame
ließ ich mir den Weg zu Bernd Nagels Zimmer beschreiben. Über eine
Wendeltreppe ins Nebengebäude, durch einen Flur am Orchestersekretariat vorbei
und noch ein Stockwerk höher. So menschenleer Treppen und Flure waren, so
bevölkert war diese zweite Etage. Ich wurde angestarrt und starrte zurück. Ein
Mann trug eine altertümliche Perücke, ein anderer war grellweiß geschminkt.
Eine hoffnungslos magere Frau weinte an der Schulter ihrer Freundin. Das
Entsetzen stand diesen Leuten ins Gesicht geschrieben, da konnten sie noch so
viel Schminke auftragen. In der Enge des Flurs herrschte Sauerstoffmangel.
    »Max!«, hörte ich Marc Covet rufen. Er stieß ein paar Leute
beiseite, kam auf mich zu und packte mich an beiden Armen.
    »Vorsicht«, sagte ich und entzog ihm meinen Ellenbogen. »Eben
habe ich mich auf die Fresse gelegt, nur um dir …«
    »Hier rein«, zischte er und drängte mich zu einer Tür mit der
Aufschrift›Tonstudio‹. Sie war verschlossen. Ebenso die nächste Tür.
Erst am entfernten Ende des Flurs ließ sich eine öffnen. Wir betraten einen
mittelgroßen Raum, in dem sich ein Klavier, eine Stehlampe, ein mannshoher
Spiegel und zwei Stühle langweilten. Covet schloss die Tür und lehnte sich mit
dem Rücken
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