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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition)
Autoren: T.C Boyle
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wie charmant er sein konnte – vor allem, wenn man nicht vorgewarnt war –, und ich wußte auch, daß Frauen ihn attraktiv fanden. Die ganze Zeit dachte ich: Was ist nun, wenn er hinter Jordy her ist? Aber dann sagte ich mir, daß die Chancen dafür wohl eher gering standen, und selbst wenn – selbst wenn es so war –, gab es doch immer noch einhundertsechs andere Frauen, und eine davon mußte für mich sein.
    Statistik:
    Unter den 170 Einwohnern von Boynton gibt es zweiunddreißig Frauen, alle verheiratet und alle unsichtbar, sogar wenn sie an der Bar sitzen, die ich im Hinterzimmer des Ladens betreibe. Die Durchschnittstemperatur im Winter liegt um –25°C, und fast zwei Monate lang sehen wir kaum etwas von der Sonne. Wenn man dazu berücksichtigt, daß sieben von zehn Erwachsenen in Alaska ein Alkoholproblem haben, kann man sich leicht vorstellen, wie das Leben an den schlechteren Tagen hier aussieht.
    Ich bin keine Ausnahme von der Regel. Die Wintermonate sind lang, die Nächte öde, und Schnaps bietet eine Möglichkeit, die Einsamkeit und Langeweile zu mildern, die einen immer traniger und traniger werden läßt, bis man sich fühlt, als wäre man kaum noch am Leben. Damit das klar ist: Ich bin keineswegs ein Säufer – nicht so wie Bud Withers, nicht mal annähernd –, ich versuche mich ein bißchen im Zaum zu halten, indem ich mindestens jeden zweiten Tag ohne einen Schluck auskomme und mir eine einigermaßen positive Einstellung bewahre. Deshalb setzte ich mich auch nach zwei Bier aus der Hotelbar ab und ging in Peters Wohnung hinüber, um dort in Aftershave zu baden, mit einem Schuß Haarspray die Haare um die kahle Stelle herum zu befestigen und dann das Sportjackett überzuwerfen, das ich zum letztenmal beim Begräbnis von Chiz Peltz getragen hatte (der war in derselben Nacht erfroren, in der Bud seine Füße verlor, und ich mußte ihn am nächsten Morgen von der Hintertür meines Ladens herunterhebeln: er erinnerte an eine Bronzestatue, saß über seine Flasche gekauert, den Parka über den Kopf gezogen, und so mußten wir ihn dann auch begraben, samt Schnapsflasche und allem). Dann bahnte ich mir durch die brodelnden Straßen den Weg zurück zum Hotel mit seinem Ballsaal, der Platz für die Einwohner von ganz Boynton hatte, und dabei fühlte ich mich wie ein nervöser Schuljunge, der sich bei der allwöchentlichen Tanzstunde gegen die Wand drückt. Aber ich war kein Bubi mehr, und das hier war keine Tanzstunde. Ich war vierunddreißig, und ich hatte genug davon, wie ein Mönch zu leben. Ich brauchte jemanden zum Reden – eine Kameradin, eine Gefährtin, eine Frau, und das hier war die beste Gelegenheit, eine zu finden.
    Kaum sah ich Jordy bei dem Tisch mit den Horsd’œuvres stehen, da verschwanden die übrigen einhundertsechs Frauen aus meinem Blickfeld, und ich wußte, ich hatte mir vorhin an der Bar in die Tasche gelogen: sie war die eine, die einzige, und meine Sehnsucht nach ihr war ein steter Schmerz, der von nun an nie mehr nachlassen wollte. Neben ihr stand noch eine Frau, die zwei steckten die Köpfe zusammen und tuschelten, aber ich hätte ehrlich nicht sagen können, ob die andere klein oder groß, blond, brünett oder rothaarig war – ich sah nur Jordy, sonst gar nichts. »Hallo«, sagte ich, und das Sportjackett kniff in den Achseln und krallte sich in meinen Rücken wie ein Lebewesen, »erinnerst du dich an mich?«
    Klar tat sie das. Und sie ergriff meine Hand und drückte mir ein Küßchen in die Außenbezirke meines Barts. Die andere Frau – die unsichtbare – verschwand im Hintergrund, ehe sie mir vorgestellt werden konnte.
    Ich wußte nicht recht, was ich als nächstes sagen sollte. Meine Hände fühlten sich groß und ungelenk an, als hätte man sie mir erst beim Hereinkommen an die Arme getackert, und das Sportjackett flatterte mit den Schößen und bohrte mir seine Klauen in den Nacken. Ich mußte was trinken. Und wie.
    »Möchtest du was trinken?« raunte mir Jordy zu und teilte diese Worte in winzige Nuggets voller Bedeutung auf. Sie hielt ein Glas Weißwein in der Hand, und sie trug große, blinkende, baumelnde Ohrringe, die ihr bis auf die geschwungenen Linien der nackten Schultern hingen.
    Ich ließ mich von ihr zu dem langen Klapptisch geleiten – auf der einen Seite vier wuselnde Barkeeper, auf der anderen die zusammengedrängte Hundertschaft Frauen und all die grobknochigen Typen mit Wildniskoller, die ihr Bestes taten, sie niederzuquatschen –, und schon hatte
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