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Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Titel: Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen
Autoren: Rudyard Kipling
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dem zwei Personen sitzen können, und es ist immerhin möglich, daß sich von Zeit zu Zeit in jener Schüssel etwas Eßbares findet. Alkohol dagegen ist, leider, jederzeit vorhanden: so heiße ich Sie in meinem bescheidenen Heim willkommen.«
    Ich wurde in die Familie McIntosh aufgenommen – ich und mein guter Tabak – sonst nichts. Unglücklicherweise kann man aber einen Strolch im Serai nicht hei Tage besuchen. Pferdekaufende Bekannte würden nur geringes Verständnis dafür haben. Folglich war ich gezwungen, meine Visiten auf die Zeit nach Dunkelwerden zu beschränken. McIntosh lachte darüber und sagte: »Sie haben vollkommen recht. Als ich noch eine Stellung in der Gesellschaft einnahm – ein wenig höher als die Ihrige – hätteich genau so gehandelt. Großer Gott! Ich war einmal« – er sprach, als hätte er das Kommando eines Regiments verloren – »Oxforder Student!« (Hier war die Erklärung für jene Bemerkung über Charley Symonds Gestüt.)
    »Sie,« fuhr McIntosh langsam fort, »haben nicht diesen Vorteil genossen; aber Sie besitzen, Ihrem Aussehen nach zu schließen, auch nicht meine Neigung für starke Getränke. Alles in Allem, schätze ich, hatten Sie von uns beiden das größere Glück. Obwohl ich davon noch nicht überzeugt bin. Sie sind – verzeihen Sie diese Bemerkung in einem Augenblick, da ich Ihren vorzüglichen Tabak rauche – Sie sind zum Beispiel in gewissen Dingen ein krasser Ignorant.«
    Wir saßen zusammen auf dem Rand seines Bettes – Stühle besaß er nicht – und beobachteten die Pferde, die zur nächtlichen Tränke geführt wurden, während das Eingeborenenweib das Essen kochte. Im Allgemeinen liebe ich es nicht, von Vagabunden gönnerhafte Lehren zu empfangen, aber ich war im Augenblick sein Gast, wenn er auch nur Eigentümer eines arg zerrissenen Alpaka-Rockes sowie eines Paares grober, sackleinerner Hosen war. Er nahm die Pfeife aus dem Mund und fügte kritisch hinzu: »Alles in Allem bezweifle ich doch, ob Sie der Glücklichere sind. Ich gedenke dabei nicht Ihrer außerordentlich beschränkten humanistischen Bildung sowie Ihrer himmelschreiend mangelhaften mathematischen Kenntnisse, sondern Ihrer peinlichen Ignoranz in bezug auf Dinge, die sich unmittelbar unter Ihren Augen vollziehen. Dinge wie das da zum Beispiel.«
    Er deutete auf eine Frau, die an einem Brunnen in der Mitte des Serais einen Samowar reinigte. Sie schnellte das Wasser in regelmäßig abgemessenen, rhythmischen Bewegungen aus dem Wasserhahn.
    »Es gibt verschiedene Arten, einen Samowar zu reinigen. Wüßten Sie nun, weshalb sie ihre Arbeit auf diese besondere Art verrichtet, dann verstünden Sie auch den Sinn der Worte des spanischen Mönchs:
    ›Ich, ein Bild der Drei-in-Eins,
Trinke Saft der Goldorangen,
Nippe drei Mal und durchkreuze
Arianer, die in einem
Zug das Naß hinunterspülen‹
    sowie zahlreiche andere Dinge, die Ihnen bis heute verschlossen sind. Aber ich sehe, Frau McIntosh hat das Essen fertig zubereitet. Kommen Sie und lassen Sie uns speisen nach der Sitte der Leute dieses Landes – von denen Sie, nebenbei bemerkt, nichts wissen.«
    Die Inderin tauchte gleichzeitig mit uns ihre Hand in den Napf. Das war ungehörig. Eine Frau hat stets zu warten, bis der Gatte gegessen hat. McIntosh Jellaludin entschuldigte sich und meinte:
    »Das ist noch so ein europäisches Vorurteil, das ich nicht habe überwinden können; außerdem liebt sie mich. Weshalb, habe ich nie begriffen. Drei Jahre sind es her, daß ich in Jullundu mit ihr zusammenzog, und sie ist seitdem bei mir geblieben. Ich halte sie sogar für anständig und weiß, daß sie eine geschickte Köchin ist.«
    Mit diesen Worten strich er ihr über den Scheitel, und sie stieß ein leises, befriedigtes Gurren aus. Sie war keineswegs hübsch anzusehen.
    McIntosh hat mir nie verraten, welche Stellung er vor seinem Sturz einnahm. Er war, wenn nüchtern, ein Mann von umfangreichem Wissen und ein Gentleman. Im Rausch traf das Erstere mehr auf ihn zu. Er war gewohnt, sich etwa ein Mal die Woche für zwei volle Tage zu betrinken. Beidiesen Gelegenheiten pflegte ihn die Inderin, während er in allen Zungen der Welt mit Ausnahme seiner Muttersprache delirierte. Ja, eines Tages begann er »Atlanta in Calydon« aufzusagen und rezitierte es von Anfang bis zu Ende, indem er mit einem Pfosten aus seiner Bettstatt den Takt dazu schlug. Meist jedoch tobte er auf Griechisch oder Deutsch. Dieses Mannes Gedächtnis war ein förmlicher Lumpensack nutzlosen
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