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Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Titel: Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen
Autoren: Rudyard Kipling
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ob er der Gabe, die ihm gewährt war, wirklich inne wurde; so ist es immerhin möglich, daß er seines Glücksgefühls zum Teil verlustig ging. Er arbeitete ja für Tillie Venner, nicht für sich selbst. Männer leisten nicht selten ihre beste Arbeit blind,»um eines anderen Menschen willen.
    Außerdem kann man – eine Bemerkung, die nichts mit dieser Geschichte zu tun hat – überall in Indien, wo jeder jeden kennt, Männer beobachten, die unter dem Banne einer Frau aus Reih und Glied hinaus auf Einzelposten getrieben werden. Taugt der Betreffende was, so wird er, einmal in Bewegung gesetzt, weitermarschieren; aber der Durchschnittsmensch kehrt, sobald die Frau an seinen Erfolgen als Tribut ihrer Macht das Interesse verloren hat, in Reih und Glied zurück.
    Wressley brachte das erste Exemplar seines Buches nach Simla mit und überreichte es errötend und stotternd Miß Venner. Sie las einen kleinen Teil daraus. Ihre Kritik gebe ich verbatim wieder: »Ach ja, Ihr Buch! Es handelt ja nur von jenen scheußlichen Wajahs! Ich habe es nicht verstanden.«
    *
    Wressley vom Auswärtigen Amt war erledigt, zerbrochen ich übertreibe nicht – durch dieses eine frivole, dummekleine Mädchen. Er vermochte nur noch zu stammeln: »Aber – aber es ist mein magnum opus! Mein Lebenswerk!« Miß Venner wußte nicht, was er mit magnum opus sagen wollte, aber sie wußte, daß Hauptmann Kerrington bei der letzten Ghymkhana drei Rennen gewonnen hatte. Wressley ersuchte sie, hinfort nicht mehr auf ihn zu warten. So viel Verstand war ihm noch geblieben.
    Dann kam die Reaktion auf eine einjährige Überanstrengung, und Wressley kehrte in das Auswärtige Amt und zu seinen »Wajahs« zurück, ein kompilierender, Exzerpte machender, Berichte schreibender Tagelöhner, der schon mit dreihundert Rupien im Monat überbezahlt gewesen wäre. Er ließ es bei Miß Venners Kritik bewenden; das beweist, daß die Inspiration seines Buches, eine rein vorübergehende war und mit ihm selbst nichts zu tun hatte. Trotzdem hatte er kein Recht, fünf Bücherkisten voll des besten Werkes über indische Geschichte, das je geschrieben wurde, die er mit ungeheuren Kosten den ganzen Weg von Bombay hatte kommen lassen, unterwegs in irgendeinem kleinen Gebirgssee zu versenken.
    Als er wenige Jahre später kurz vor seinem Rücktritt seinen Haushalt auflöste, sah ich mir seine Bibliothek durch und stieß dabei auf das einzige noch existierende Exemplar seines »Eingeborenenregimes in Mittelindien« – das Exemplar, das Miß Venner nicht hatte verstehen können. Ich las es, auf seinen Koffern sitzend, die ganze Nacht hindurch und bot ihm an, dafür zu zahlen, was er haben wollte. Er durchflog, über meine Schulter gebeugt, ein paar Seiten und sagte dann müde:
    »Wie zum Teufel bin ich dazu gekommen, einmal so was Anständiges zu schreiben?«
    Und zu mir gewandt fügte er hinzu:
    »Nehmen Sie 's und behalten Sie 's. Schreiben Sie eine Ihrer Penny-Geschichten über seine Entstehung. Vielleicht –vielleicht – war der ganze Fall überhaupt nur bestimmt, diesem Zwecke zu dienen.«
    Und das schien mir, der ich wußte, was Wressley vom Auswärtigen Amt einmal gewesen war, so ziemlich das Bitterste, das ich je einen Mann über sein eigenes Werk habe sagen hören.

Eine mündliche Botschaft
    Diese Geschichte mag von denen erklärt werden, die wissen, aus welchem Stoff die menschliche Seele ist und wo die Grenze des Möglichen liegt. Ich habe lang genug in diesem Lande gelebt, um zu wissen, daß man nichts weiß, und kann daher nur berichten, was sich ereignete.
    Dumoise war unser Zivilarzt in Meridki; wir nannten ihn »die Maus«, weil er klein, rundlich und still war. Er war ein guter Arzt und kam mit jedem gut aus, sogar mit dem stellvertretenden Regierungskommissar, der die Manieren eines Schifferknechts und den Takt eines Regimentsgauls besaß. Dumoise heiratete ein Mädchen, so rund und still wie er selbst. Sie war eine Miß Hillardyce, die Tochter von »Squash« Hillardyce, der aus Versehen seines Chefs Tochter zur Frau erhielt. Aber das ist eine andere Geschichte.
    Flitterwochen dauern in Indien nur selten länger als acht Tage, indes steht es jedem jungen Paare frei, sie auf zwei, drei Jahre auszudehnen. Indien ist für Eheleute, die ganz ineinander aufgehen, ein ideales Land. Niemand hindert sie, allein für sich, ohne Verkehr, zu leben – wie »die Mäuse« das taten. Dieses stille, kleine Pärchen zog sich nach der Hochzeit vor der Welt zurück und war sehr
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