Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schleichendes Gift

Schleichendes Gift

Titel: Schleichendes Gift
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
schnell der Fall sein.«
    »Na ja, die Sache ist …«
    Der Aufzug hielt, und zwei Verwaltungsangestellte stiegen ein. Es war also nicht die rechte Zeit, ihr von Rachel Diamond zu erzählen.
    Auch auf dem Weg vom Aufzug zu den Zellen gab es keine Gelegenheit, da er sich sehr konzentrieren musste. Und außerdem wollte er einen klaren Kopf haben, wenn er endlich Stalky gegenübertrat. Für einen Tag war das wirklich genug, dachte er. Am Tisch vor dem Zellenbereich setzte ihm ein Techniker den winzigen Ohrstöpsel ein, über den Carol mit ihm kommunizieren konnte; dann gingen sie weiter den Flur entlang.
    Carol blieb vor einem der Verhörzimmer stehen. »Sobald ich etwas von der Spurensicherung höre, irgendwelche Ergebnisse der Hausdurchsuchung, gebe ich dir Bescheid. Viel Erfolg.« Sie hielt ihm die Tür auf.
    In der Zeit, die er brauchte, um den Raum zu durchqueren, hatte Tony Gelegenheit, Jack Anderson in Augenschein zu nehmen. Im Sitzen war es schwer, seine Größe zu schätzen, aber nach seiner Statur zu urteilen war er wahrscheinlich etwas unter einsfünfundachtzig. Er war sechsundzwanzig, genauso alt wie Robbie Bishop, und schien gut in Form zu sein. Er hatte modische Bartstoppeln, einen gepflegten Haarschnitt, keine sichtbaren Tätowierungen und einen einzelnen Diamantstecker im Ohr. Das Jackett seines Anzugs trug er auf dem nackten Oberkörper, was an ihm wie ein bewusstes modisches Statement wirkte. Und er sah gut aus, selbst mit der geschwollenen dicken Beule am Kiefer, die davon herrührte, dass Malory ihn zu Boden geschlagen hatte. Auf seinem Foto sah er sehr gut aus, aber in Wirklichkeit war er noch attraktiver. Man konnte leicht verstehen, dass er kein Problem gehabt hatte, Mädchen für sich zu gewinnen. Der junge Robert Redford, nur dunkelhaarig und mit schönerer Haut, dachte Tony. Und so cool wie Paul Newman in jedem beliebigen Alter.
    Andersons Gesicht zeigte nicht die geringste Reaktion, als Tony sich durch den Raum zu einem Stuhl schleppte. »Ich bin Tony Hill«, stellte er sich vor, sobald er sich gesetzt hatte. »Ich arbeite mit der Polizei zusammen und erstelle Profile.«
    Ein Mundwinkel hob sich zu einem schiefen Lächeln. »Wie Fitz , nur dünner.«
    Tony unterdrückte ein Lächeln. War das Schweigen erst einmal gebrochen, war es viel schwerer, sich wieder dahinter zurückzuziehen. »Ich habe auch keine Probleme mit Alkohol oder Spielsucht«, erklärte Tony vergnügt. »Hat man Ihnen Ihre Rechte vorgelesen?« Anderson nickte. »Sie möchten keinen Anwalt?« Er schüttelte den Kopf. »Und Sie wissen, dass diese Befragung aufgezeichnet wird?«
    »Es macht keinen Unterschied, ich habe sowieso nicht vor, etwas Wichtiges zu sagen.« Anderson lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Um mal peinlicherweise Billy Joel zu zitieren: ›I am an innocent man.‹«
    Tony nickte. »Ich denke, in gewisser Hinsicht glauben Sie das wirklich. Aber ich denke auch, Sie wissen, dass es schwer sein wird, das in der Praxis aufrechtzuerhalten. Die Polizei hat schon einige Beweise, und es werden noch viele dazukommen. Sie mögen überzeugt sein, dass es für Ihre Taten eine Rechtfertigung gibt. Aber die schonungslose Wahrheit ist, dass man Ihnen in ein oder zwei Tagen drei Morde zur Last legen wird. Und zwar deshalb, weil Sie drei Männer umgebracht haben.«
    Anderson sagte nichts. Sein Gesicht wurde wieder starr.
    »Ich werde Sie Jack nennen«, fuhr Tony fort. »Ich weiß, dass das Geschehen vor drei Jahren, was immer da passiert ist, Ihnen das Gefühl gibt, dass Jack tot sei. Aber er ist derjenige, über den ich am meisten weiß, und es tut mir sehr leid für ihn. Viele Kinder wachsen ohne ihren Vater auf. Ich gehöre auch dazu, deshalb weiß ich, was das heißt. Mein Vater kam nicht um, für mich bestand immer die Möglichkeit, dass er in mein Leben zurückkommen könnte, egal wie winzig die Chance dafür war. Aber Sie hatten diese Chance nicht. Ihr Vater war für immer fort. Keine Hoffnung, an der Sie festhalten konnten. Und noch schlimmer ist, dass er als Held starb. Er starb den Tod eines Soldaten für Königin und Vaterland. Das geht definitiv über die Erwartungen hinaus, denen ein Teenager gerecht werden könnte.
    Und dann sind da all die Dinge, die ihm dadurch entgingen, dass er damals starb. All die Dinge, die er niemals sah, niemals tun konnte. Das Internet, iPods, Digitalkameras, Billigflüge, Google. Sie aufwachsen zu sehen. Ich nehme an, dass Sie deshalb so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher