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Mein Name ist Toastbrot (German Edition)

Mein Name ist Toastbrot (German Edition)

Titel: Mein Name ist Toastbrot (German Edition)
Autoren: Dino Capovilla
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Menschen, die mich lieben, nennen mich Toast, eine der möglichen Abkürzungen für Toastbrot. Alle Übrigen nennen mich David. Auch wenn David „der Geliebte“ bedeutet, bin ich ein Kind der Gewohnheiten und nicht der Liebe. Vor rund 20 Jahren wurde ich von einem Professor für Theologie und einer Ärztin gezeugt. Er war ein ungestümer Trinker und sie eine feurige Bühnendarstellerin. Er liebte Gott, sie sich selbst und ich meinen Teddy. Schon früh lehrte mich mein Vater, der Teufel habe ihn selig, dass christliche Nächstenliebe eine moralische Kleinigkeit ist. Sein erdachter Himmel war voll von reuigen Sündern und entsetzlichen Langweilern. Nur die Demutsvollen und Bußwilligen konnten auf Gottes Gnade hoffen. Für mich als wahrhaft Liebender und Zärtlicher, der an männlichen Geschlechtsteilen Gefallen findet, war da sicher kein Platz.
    Die Gefühlskälte meiner Mutter verletzte mich so sehr, dass ich mich manchmal nach den Schlägen meines Vaters sehnte. Denn danach kümmerte sich meine Mutter wenigstens ein paar Minuten um mich und für einen kurzen Augenblick spürte ich die ersehnte Zuneigung, die sie manchmal sogar durch verhaltenen Körperkontakt ausdrückte.
    Liebe war für meine Mutter eine rationale Handlung und diese Handlungen hätte sie nur gewährt, wenn ich ihrem Bild entsprochen hätte. Natürlich gelang mir das nicht annähernd, weshalb sie mich für ihr Leid verantwortlich machte. Hilflos musste ich zusehen, wie sie ihr Elend, welches durch mich in ihr Leben getreten war, mit eimervoll Tränen klagte.
    Die Angst vor Öffentlichkeit war die einzige Emotion, die diesen Eisklotz wenigstens für kurze Zeit antauen ließ. Auch wenn diese Wärme meine äußeren Wunden nicht heilen konnte, vermochte sie es doch, mich meine Inneren Verletzungen vorübergehend vergessen zu lassen.
    Etwas von dem, was Menschen Liebe nennen, glaubte ich auf dem Schlachtfeld meines Körpers zu finden, auch wenn mir dieser Gedanke heute reichlich lächerlich erscheint. Als Sohn hatte ich zu funktionieren und nicht zu fühlen. Selbstentfaltung war zweitrangig. In erster Linie sollte ich ein unauffälliges Schattendasein führen, und mich nach ihrem Vorbild, letztlich ganz aufzulösen.
    Mein Vorhaben in aller Stille ganz normal unauffällig zu sein, scheiterte nicht zuletzt an der Tatsache, dass mir ein Fuß fehlt. Diesen fehlenden Körperteil finde ich weit weniger interessant, als jene, die noch beide Füße haben. Eine Prothese ist etwas recht Schlichtes, wenn man von der Tatsache absieht, dass man ein Stück seiner selbst in den Schrank stellen kann, wo es bis auf die natürlichen äußerlichen Abnutzungserscheinungen unverändert und ewig jung bleibt. Als Krüppel beantworte ich regelmäßig dieselben aufeinanderfolgenden Fragen, die den anderen dann einfallen, wenn sie einen jungen, hübschen Menschen humpeln sehen.
    „Oh, sie haben es wohl mit dem Skilaufen übertrieben. War der Urlaub trotzdem schön?“
    „Nein, das ist keine Freizeitverletzung. Ich bin schwerbehindert, weil mir ein Fuß fehlt.“
    „Oh das tut mir leid. Kann man da nichts machen?“
    „Füße wachsen leider nicht nach.“
    Das Alltagslächeln verschwindet und weicht einem verlegenen Blick, der auf meine Füße fällt.
    „Ah und das ist eine Prothese da an Ihrem Bein?“
    „Ja.“
    „Ach so, ähm, und wie ist das passiert? Oh entschuldigen Sie, ich möchte nicht indiskret sein.“
    Im Alter von 9 Jahren hatte ich versucht, einen Stacheldrahtzaun zu überwinden. Ich war auf den danebenstehenden Baum geklettert, hatte zum Sprung auf die andere Seite des Zauns angesetzt – und mir wurde kurze Zeit später klar, wie gefährlich Nato-Draht, entgegen seiner Unscheinbarkeit, sein kann. Mein Knöchel verfing sich in einer Schlinge des Drahts, er brannte und schmerzte, und ich baumelte kopfüber. Mein Versuch war gescheitert. Als ich mich endlich aus der Fesselung gelöst hatte, folgte ich der Erdanziehungskraft auf die Wiese und war wieder dort, wo ich gestartet war.
    Unsicher wanderte mein Blick entlang des Hosenbeins Richtung Fuß. Der blaue zerrissene Jeansstoff war rund um den Knöchel rot, und erst als ich mich nach vorne beugte, um mir die Wunde genauer anzusehen, setzte der brennende Schmerz wieder ein und ich spürte ein ungeduldiges Pochen im ganzen Unterschenkel. Da die Verletzung beängstigend aussah, zog ichmein T-Shirt aus und band es mir um das Fußgelenk. Dem Schmerz konnte dies nichts entgegensetzen, aber wenigstens musste ich das
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