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Schleichendes Gift

Schleichendes Gift

Titel: Schleichendes Gift
Autoren: Val McDermid
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begierig auf Erlebnisse waren. Frauen, Alkohol, Drogen, Männer, sniffen, fixen, bumsen, sich besaufen. All das war da, Sie brauchten es sich nur zu nehmen …«
    »Was soll das heißen, Männer? Ich bin nicht schwul.« Er nahm die Arme herunter, und seine Hände umklammerten seitlich den Stuhl.
    Treffer. Die antiretroviralen Medikamente waren der Hinweis gewesen, aber Tony hatte trotzdem nicht so schnell einen Riss im Panzer erwartet. »Ich habe nie behauptet, dass Sie das sind.« Tonys Ton blieb ruhig und entspannt. Fast wie bei einem Hypnotiseur. »Ich sprach über den Hunger, etwas zu erleben. Ich dachte, Sie wollten alles einmal ausprobieren. Wollten es selbst fühlen. Furchtlos und offen für alles, für jede Empfindung. Alles nehmen, was die Welt bot, es annehmen und nichts auslassen. Täusche ich mich da?«
    »Das sind Ihre Worte, Herr Doktor, nicht meine.« Anderson tat sein Bestes, den harten Burschen rauszukehren, aber Tony spürte die Wut und das Leid hinter der Fassade. All diesen Schmerz, von dem er nicht wusste, wohin damit.
    »Aber ich habe recht. Wir beide wissen das«, sagte er. »Ich bin auch nicht schwul, wenn das hilft. Das heißt aber nicht, dass ich nicht darüber nachgedacht habe, wie es wäre. Ich meine, wenn man alle anderen Erfahrungen gemacht hat, dann fragt man sich, ob es den bisherigen Erlebnissen gleichen oder ganz anders sein wird.« Zeit, das Tempo zu ändern. »Dann starb Ihre Mutter – das war eine Erfahrung, die Sie nicht machen wollten. Sie wollten nicht, dass sie sich umbrachte, wollten nichts von dieser Art von Verzweiflung wissen. Wollten nicht, dass sie starb, nicht wahr? Wie schwer es für sie gewesen sein muss, abzuwarten, bis sie dachte, Sie seien gefestigt, und es dann erst auszuführen. Diese eine Erfahrung, die man mit niemandem teilen kann. Sie tat, was sie konnte, und dann machte sie Schluss. Hat Sie sich selbst überlassen. Ich würde vermuten, wenn es vorher etwas gab, das Sie ausgelassen hatten, dann haben Sie sich daraufgestürzt, als sie nicht mehr da war.«
    Anderson rutschte auf seinem Stuhl herum. »Muss ich mir den ganzen Tag diese Amateurpsychologie anhören?«, platzte er heraus.
    »Es ist nicht amateurhaft, Jack. Ich werde dafür bezahlt. Also, was stand noch auf der Liste? ›In der Premier League Fußball spielen. Ein Haus am Dunelm Drive haben. Millionär sein, bevor ich dreißig bin. Einen Ferrari fahren‹.«
    Tony sah, dass es funktionierte. Auf jeden Satz reagierte sein Gegenüber mit einem winzigen Zucken. Es war an der Zeit, den Druck zu erhöhen.
    »Na, Jack, wie mach ich das? Wie viele stehen noch auf Ihrer Liste? Wie viele wollten Sie noch vergiften? Ihr Leben vergiften, so wie er Ihres vergiftet hat?«
    Er zog scharf die Luft ein. »Was Sie faseln, ist Unsinn. Was soll das heißen – Leben vergiften? Sie meinen, dass wer immer diese Typen umgebracht hat, den Mord als Metapher verstand? Wie können Sie den Tod so trivialisieren? Sie sind morbider als die Mörder, die Sie zur Strecke bringen sollen.«
    Tony zuckte mit den Schultern. »Sie sind nicht der Erste, der das sagt. Aber letzten Endes bin ich eben kein Mörder. Sie schon. Und der einzige Grund, weshalb Sie jetzt für mich oder sonst jemanden von Interesse sind, ist, weil wir wissen wollen, warum das so ist. Ich glaube, ich weiß, warum, aber es wäre schön zu hören, dass ich recht habe.«
    »Sie reden verdammten Stuss«, entgegnete Anderson. »Leute wie Sie, die meinen, sie wüssten, was Menschen antreibt – ihr habt keinen Schimmer.«
    »Jack, Sie versuchen es mit einer Nebelkerze. Das mag manche Leute aus der Fassung bringen, aber mich nicht. Ich interessiere mich nicht für Ihre Ablenkungsmanöver. Kehren wir doch zu dem zurück, worum es wirklich geht. Ihre Versuche, dafür Rache zu nehmen, dass Ihnen Ihre Träume von dem Mann gestohlen wurden, der Ihr Leben vergiftet hat.«
    »Ich bin nicht schwul«, sagte Anderson diesmal lauter.
    »Wer hat etwas von schwul gesagt?«, erwiderte Tony unschuldig mit ausgebreiteten Armen. »Ich habe Sie nach Ihrer Liste gefragt. Wer da noch draufstand. Drei hatten wir schon. Wie viele außerdem? Ich weiß, es gibt mindestens noch einen. Kevin, der Typ mit dem Ferrari. Hatten Sie wirklich gedacht, die würden einfach die Hände in den Schoß legen und Sie einen weiteren der ihrigen umbringen lassen? Sie haben Tom Cross erwischt, weil wir nicht am rechten Ort gesucht haben.« Tony beugte sich vor und kam nah an sein Gesicht heran, immer noch
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