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Schlecht aufgelegt (German Edition)

Schlecht aufgelegt (German Edition)

Titel: Schlecht aufgelegt (German Edition)
Autoren: Sven Stricker
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Gesprächen. Je schneller die Lampe blinkte, desto mehr Kunden hingen in der Leitung. Die meiste Zeit feierte das Lämpchen eine Techno-Party und blinkte geschätzte zweihundert Mal in der Minute. Das konnte einen wahnsinnig machen.
    Paul hatte sich das Rauchen angewöhnt, um wenigstens einmal in der Stunde fünf Minuten durchatmen zu können. Nichtraucher hatten hier verloren, da gab’s keine kleinen Pausen, da hieß es ackern, Stundensoll erfüllen, für die Raucher mitschuften. Paul hasste das Rauchen, aber nach sorgfältigem Abwägen zog er das Risiko eines qualvollen Krebstodes vor. Er war doch nicht bescheuert. Er würde niemals für Raucher mitarbeiten, er würde stets darauf achten, derjenige zu sein, für den mitgearbeitet wurde. Er seufzte noch einmal. Dann drückte er die grüne Taste.
    «Schönen guten Tag, T2-Vermittlung. Mein Name ist Paul Uhlenbrock, was kann ich für Sie tun?» Paul hörte sich selbst schon gar nicht mehr zu, dieser Satz fiel ganz automatisch aus seinem Mund. «Sammeln Sie Herzen?» – «Haben Sie eine Payback-Karte?» – «Möchten Sie vielleicht ein leckeres Croissant zu Ihrem Tankeinkauf?» Ein Satz dieser Kategorie war das. Paul nuschelte die Begrüßungsfloskel manchmal so, dass der jeweilige Kunde kein Wort davon verstehen konnte – was aber sowieso egal war, denn niemand hörte bei diesem Satz richtig hin, und niemanden interessierte es, dass er Paul Uhlenbrock hieß.
    «Tach.»
    Die Stimme kam vom Nachbarplatz. Hatte sich da etwa gerade jemand hingesetzt? Bitte nicht. Der Anrufer, irgendein Herr Müller oder Meier oder Moldau, gab einen Städtenamen durch.
    «In Berlin? Gerne», sagte Paul. Die erste Lüge. Nein, die zweite. Schönen guten Tag war auch schon falsch.
    «Ich setz mich mal hierhin, ja?» Wieder diese Stimme. Wer quatschte ihn denn da einfach so von der Seite an? Sah der denn nicht, dass er telefonierte?
    Paul beschloss, seinen Nachbarn vorerst zu ignorieren. «Kellermeier? Mit E-I oder A-I …»
    «Ich heiß Kuli», sagte die Stimme. «Von Kulenkampff. Da gab’s auch mal so einen Showmaster. Kennst du vielleicht noch.»
    Paul tippte «Kellerm» ein, drückte auf Suchen und ignorierte diesen Kulendings weiter. Da war er konsequent. «Da hätte ich doch sehr viele Einträge in Berlin. Gibt’s denn da auch einen Vornamen?» Das war immer das Schlimmste. Kunden, die nicht mitdachten. Überhaupt, Menschen, die nicht mitdachten. Überhaupt, Menschen.
    «Uli. Also Ulrich», sagte die Stimme. «Aber du kannst mich ruhig Kuli nennen. Das machen alle.»
    Jetzt konnte Paul nicht anders, jetzt musste er doch mal einen Blick zur Seite werfen. Ein freundlich dreinblickender, etwas rundlicher Mann um die vierzig, mit hellblondem Kurzhaarschnitt und schwarzem James-Brown-T-Shirt hatte sich da niedergelassen. Paul hatte ihn noch nie gesehen. Der Mann drehte sich in seinem Stuhl hin und her, grinste und verschränkte die Zeigefinger vor dem Bauch. Wieso grinste der? Was gab es denn hier zu grinsen? Hier gab es doch nichts zu grinsen. Das regte Paul jetzt schon auf. Sein Kunde, der Herr Müller oder Meier oder Moldau, verlor langsam ebenfalls die Geduld. Er verweigerte Herrn Kellermeiers Vornamen.
    «Ja, dann müssten Sie aber die Straße wissen», sagte Paul und wusste, er war bereits auf dem sicheren Weg zur Eskalation. Sein Sitznachbar kratzte sich hinterm Ohr.
    «Der Herr Monschau vom Personal hat gesagt, ich soll mich einfach auf einen freien Platz setzen», sagte er. «Da würd mich dann schon jemand einarbeiten.»
    Herr Müller oder Meier oder Moldau fing an zu schimpfen. Irgendwas mit Idiot, Unverschämtheit, Inkompetenz und Schlafmützigkeit. Am Ende stand der Wunsch nach einem übergeordneten Gesprächspartner.
    «Wieso denn jetzt meinen Vorgesetzten?», fragte Paul und schnappte nach Luft. Nach all der Zeit hatte er noch immer keine Methode entwickelt, seine Wut zu unterdrücken. « Sie wissen doch die Straße nicht. Und den Vornamen wissen Sie auch nicht. Was?»
    Eine Flut von unaussprechlichen Beschimpfungen überrollte ihn. Am Ende stand die Frage nach seinem Namen. «Paul Uhlenbrock. Ja, ja, natürlich können Sie meinen Vorgesetzten sprechen. Moment.»
    Paul drückte auf eine Taste zum Stummschalten und hob den Kopf. Kuli hatte aufgehört zu schaukeln. «Herr Kletzke», rief er.
    Etwa fünf Meter entfernt, hinter dem riesigen Schreibtisch, hob ein klein gewachsener Mann mit langem Gesicht und lächerlich bunter Krawatte zum fliederfarbenen Hemd den
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