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Schlecht aufgelegt (German Edition)

Schlecht aufgelegt (German Edition)

Titel: Schlecht aufgelegt (German Edition)
Autoren: Sven Stricker
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Schwaden sollte der Sage nach sogar der eine oder andere Mitarbeiter verschwunden und nie wieder aufgetaucht sein. So erzählten es jedenfalls die Alteingesessenen, allesamt Nichtraucher, aber die waren ja sowieso alle verrückt, dachte Paul, denn das waren ja die, die für die anderen mitarbeiteten. Heute ging man zum Rauchen vor die Eingangstür im Erdgeschoss, was das kleine Durchschnaufen aufs angenehmste um zwei Minuten verlängerte.
    «Ja, Mensch, wann kommt man schon mal in so kurzer Zeit mit so vielen Leuten in Kontakt», sagte Kuli endlich und beobachtete zufrieden, wie die braune Brühe auf seine Milch lief. «Ist doch super. Macht doch Spaß!»
    Paul konnte seine Verachtung nicht verbergen. «Redest du dir das jetzt schön hier? Was denn für ein Kontakt? Die haben’s eilig, wir halten sie hin, stellen uns blöd an und werden dafür angeschissen. Das hält man doch im Kopf nicht aus, was das für ein Scheißjob ist.»
    «Also, als so unfreundlich hab ich die Kunden gar nicht empfunden», antwortete Kuli. Paul schaute nur kurz hoch.
    «Okay, ein paar schon», gab Kuli zu. »Aber ich bin ja auch noch ein bisschen langsam. Au, Scheiße! Scheiße, au!»
    Er hatte sich die Lippen verbrannt.
    Paul verlor sich in Gedanken. Das passierte ihm manchmal, das tat ihm gut, das war sein Ausstieg aus der Zeitachse der Wirklichkeit, wenn es gar zu blöd wurde. Und gerade wurde es ziemlich blöd. Er fragte sich, ob so ein Kaffeeautomat eigentlich eine FSK-Freigabe benötigte. Gut, das hieß bei Kaffeeautomaten sicherlich ganz anders, meinte aber eigentlich dasselbe. TÜV hieß das, fiel ihm ein, und er fand den Gedanken schön, dass da so ein Kaffeeautomat auf so einer Hebebühne stand und sich mehrere Mechaniker in blauen Overalls und mit ölverschmierten Händen darunterbeugten und ihn für den Straßenverkehr freigaben. Dann dachte er, dass in Amerika der Kaffeemaschinenhersteller jetzt wohl verklagt worden wäre und dass sich Kuli mit dem erstrittenen Geld ein Haus am See in der Stadt hätte kaufen können, auch wenn er, Kuli, bislang der Einzige gewesen war, der jemals den Kampf mit dem Kaffeeautomaten verloren hatte. Weiter wollte er dann aber doch nicht abschweifen. Denn eigentlich ging es hier ja um Grundsätzliches.
    «Die sind auch unfreundlich, wenn du schnell bist, die Kunden», sagte er. «Die sehen dich ja nicht. Da haben die keinen Respekt. Geht’s?»
    Kuli machte eine wegwerfende Geste und nahm die Hand vom Mund. «Wiefo ham die kein Reschpeckt?» Er befingerte seine Unterlippe.
    «Ist halt anonym. Da kann man schön die Sau rauslassen», schimpfte Paul.
    «Ischt das nicht ein bischschen zu …»
    «Nee, gar nicht, das ist gar nicht zu .»
    Jetzt war Paul auf Betriebstemperatur. «Ich sag dir mal was: Niemand wird freiwillig Call-Center-Agent, okay? Es gibt drei Berufe, ja, drei Berufe gibt es. Wenn du auf die Welt kommst, wenn du in die erste Klasse kommst und gefragt wirst, was willst du denn mal werden, wenn du groß bist, was bist du denn da von Beruf, da gibt es genau drei Berufe, die niemals, nicht ein einziges Mal genannt werden: Müllmann bei den Jungs, Prostituierte bei den Mädchen und Call-Center-Agent bei beiden. Leichenbestatter, okay. Imbissbude, meinetwegen. Aber nicht Call-Center-Agent. Allein schon dieses Wort: Call-Center-Agent! Wie klingt das denn? Wollen die uns eigentlich verarschen, wollen die uns lächerlich machen? Call-Center-Agent! Mit der Lizenz zum Quatschen, oder was? Sag das mal auf einer Party, hey, ich bin Call-Center-Agent, da werden dir die Frauen aber nachrennen, da bist du aber mal ’ne ganz fette Partie, bist du da!» Er holte tief Luft. «James Bond ist Agent! Wir sind das nicht. Niemand wird freiwillig Call-Center-Agent, das heißt, wir alle hier sind woanders gescheitert oder hatten keine Alternative. Und die Idioten, die hier anrufen, die wissen das, die schauen auf uns herab. Wenn du hier überleben willst, musst du dagegenhalten, konfrontieren, aggressiv sein, keine Gefangenen machen. Du musst selbst so unfreundlich sein, wie’s nur irgendwie geht.»
    «So habe ich das noch nicht betrachtet», sagte Kuli und stellte seinen Kaffee auf den Tisch, um ihn nie wieder anzurühren.
    Paul klopfte sich zwei Mal gegen die Brust. «Das ist eine Frage der Würde.»
    Er nahm einen Becher aus der Halterung des Automaten, ging zur Spüle, füllte ihn mit Leitungswasser und gab ihn Kuli, der dankbar einen Schluck trank und sein T-Shirt nur ganz leicht bekleckerte.
    «Wie
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