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Schlecht aufgelegt (German Edition)

Schlecht aufgelegt (German Edition)

Titel: Schlecht aufgelegt (German Edition)
Autoren: Sven Stricker
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    Prolog
    S ie lehnte mit dem Rücken an der Tür, die Arme weit ausgebreitet, die Hände auf beiden Seiten gegen den Rahmen gepresst. Es schien, als wollte sie die Tür in den Angeln halten, als wollte sie sie gegen den Angriff von außen schützen. Er stand auf der anderen Seite, im Hausflur, und hämmerte dagegen. Einmal, zweimal, dreimal. Sie zuckte bei jedem der Schläge zusammen, als träfen sie direkt ihre Magengrube.
    «Mach die Tür auf!», bat er. «Bitte, Lisa. Ich steh ja hier herum wie ein Volltrottel.»
    «Aber ich habe dir das doch schon alles erklärt», entgegnete sie. «Verschwinde einfach!»
    Er hämmerte erneut gegen die Tür. Seine ganze Kraft lag in seiner Faust, seine Stimme aber blieb gedämpft; er sprach nicht zu laut, nicht zu aggressiv, nicht zu drohend. Er hatte sich unter Kontrolle, wie immer. Wie fast immer.
    «Ich will nur ganz kurz mit dir reden. Wirklich!», beteuerte er.
    «Ich habe Angst vor dir, Henning.» Sie erhoffte sich etwas davon, wenn sie es aussprach. Sie spürte ihren erhöhten Herzschlag, die flachere Atmung.
    «Ach, das ist doch nun wirklich absurd», sagte er. «Komm, Lisa, mach die Tür auf, ja? Wenn mich hier jemand sieht …»
    Wenn das doch nur so wäre, dachte sie. Wenn doch nur jemand käme. Da wohnte man in einem Mehrfamilienhaus, in dem ein ständiges Kommen und Gehen herrschte, zu den unmöglichsten Zeiten, und ausgerechnet jetzt wirkte es wie ausgestorben.
    «Können wir nicht telefonieren?», fragte sie. «Nachher, ja? Wir telefonieren nachher. Da kannst du alles sagen, was du sagen willst.»
    Schweigen. Von der anderen Seite war kein Laut mehr zu vernehmen. Für wie lange? Zehn Sekunden? Eine halbe Minute? Gerade, als sie vorsichtig, ganz sachte, zu hoffen wagte, dass er vielleicht gegangen wäre, gerade, als sich ein zartes Gefühl der Erleichterung einzustellen versprach, erklang seine Stimme wieder.
    «Susanne ist heute den ganzen Abend zu Hause.» Er klang so ruhig wie zuvor. «Es geht wirklich schnell. Ich will dir nur noch mal in die Augen sehen, okay? Dann bin ich sofort weg.»
    Sie überlegte. Sie seufzte. Und dann tat sie das Falsche: Sie entriegelte die Tür.

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    Schönen guten Tag
    P aul Uhlenbrock schaute aus dem Fenster in den Regen. Die Tropfen klatschten wie Ohrfeigen auf den Parkplatz voller Mittelklasse- und Kleinwagen, von denen die meisten noch aus dem letzten Jahrtausend stammten. Die Blechablage, wie Paul sie nannte, wurde umrahmt von grauem Häuserbeton, dazu flatterten ein paar Fahnen im Wind, auf denen das T2-Logo zu lesen war. Inmitten dieser Wüste der Zweckmäßigkeit barmten zwei krüppelige und ausgesprochen mickrige Bäume um Aufmerksamkeit, die der Betriebsrat vermutlich nur mit Mühen bewilligt bekommen hatte. Den Bäumen geht’s wie mir, dachte Paul oft. Und das waren nicht einmal seine dunkelsten Stunden.
    Nein, es war nicht schön, was Paul Uhlenbrock sah, wenn er aus dem Fenster schaute, aber alles Grau war ihm lieber als der Blick in die andere Richtung. Er saß inmitten eines Großraumbüros, das etwa zweihundert Quadratmeter maß und genau dreißig Vierertische mit Trennwänden beinhaltete, dazu einen breiten Mittelgang, Neonröhren, einen durchgetretenen Teppich in den Firmenfarben Blau und Rot, eine nicht ganz lautlose, dafür erkältungsfördernde Klimaanlage sowie eine untote Hydrokultur, die der Atmosphäre dienen sollte, aber einfach nur im Weg stand. Direkt neben dem Eingang thronte, leicht erhöht, ein riesiger Schreibtisch mit gewichtigen Ablagetürmen, die anscheinend niemals geleert, aber beständig angebaut wurden. Von hier aus hatte man die perfekte Aussicht auf alle Mitarbeiter der Telefonauskunft. Paul und seine Kollegen nannten diesen Platz «den Hügel». Dort residierte der Abteilungs- oder Schichtleiter, je nachdem, wer gerade da war.
    Paul seufzte. Ein paar Plätze links von ihm hatte sich soeben Martin Schulte die Schuhe ausgezogen, so wie immer, es waren ganz widerwärtige ausgelatschte Treter, die vor Gewicht und Größe ihres Besitzers schon lange kapituliert hatten und vermutlich wie ein träger, altersschwacher Hund jeden Moment der Entlastung genossen. Dazu präsentierte Schulte – ebenfalls so wie immer – der nicht sonderlich staunenden Belegschaft seine ehemals weißen Tennissocken, von denen er offenbar nur ein Paar besaß, wie die gelb verfärbten Schweißflecken oberhalb der Ferse vermuten ließen, und legte die dazugehörigen Füße
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