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Schlecht aufgelegt (German Edition)

Schlecht aufgelegt (German Edition)

Titel: Schlecht aufgelegt (German Edition)
Autoren: Sven Stricker
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der Stirn. Er hatte alle seine Schallplatten wieder einsortiert, was doch länger gedauert hatte, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Gut, er hätte vielleicht nicht ganz so lange gebraucht, wenn er nicht alle zehn Minuten ein Album gefunden hätte, das es überaus wert war, mal wieder oder überhaupt mal gehört zu werden, und er zu diesem Zweck nicht ständig eine im Schnitt fünfundvierzigminütige Pause hätte einlegen müssen. Aber so war es halt. Und so war er halt. Er hatte sich seinen Bass umgeschnallt, so wie sich ein Revolverheld bewaffnete, um für den Fall der Fälle gewappnet zu sein. Er wusste, die Hürde war fast genommen, er würde schon ganz bald seinen Verstärker anmachen und spielen, spielen, spielen, bis der Putz bröckelte und Remzi oder irgendjemand sonst aus dem Haus über Lärmbelästigung klagen würde.
    Er musste es zugeben, er vermisste Bettina. Gar nicht mal als Person, er hatte begriffen, dass er sich da geirrt hatte, aber Bettina als Perspektive, als Wunschtraum, als Aussicht auf ein weniger verschrobenes Einzelgänger-Dasein. Stimmte ja schon: Je älter man wurde, desto seltsamer wurde man, desto mehr Narben verunstalteten die Seele, desto schwieriger wurde es, sich neu und unverkrampft zu binden. Waren ja schließlich nur noch Versehrte unterwegs, in seinem Alter. Und dass er speziell war, wusste er ja. Es war schön gewesen, sich einzubilden, dass Bettina genau das an ihm gemocht hatte. Andererseits hatte er jetzt natürlich viel mehr Zeit, sich seinem Kerngeschäft zu widmen, der Musik. Da hätte Bettina natürlich viel Kraft gekostet, mit all dem Sex, dem gemeinsamen Frühstück und den gemeinsamen Kindern. Kuli seufzte und legte John Hiatt auf. Have A Little Faith In Me sang er, so wahrhaftig, wie nur er es singen konnte und nicht wie in dieser furchtbaren Version von Joe Cocker, der den Weg in Kulis Plattenregal nur mit Sheffield Steel geschafft hatte; man kaufte ja schließlich nicht alles.
    Es klingelte an der Tür. Kuli runzelte die Stirn. Paul war auf dem Weg nach Barcelona, Bettina in Untersuchungshaft, Sophie arbeitete – wer konnte das sein? Er drehte seinen Bass auf den Rücken und ging zur Tür.
    «Ralf», sagte er erschrocken.
    «Halloing», erwiderte Ralf kleinlaut und winkte verlegen mit der rechten Hand. Er sah eigentlich aus, wie Ralf immer schon ausgesehen hatte, dünn, hager, unrasiert und dennoch fast bartlos, mit wenigen Haaren auf dem Schädel und einer randlosen Informatikerbrille, die außerordentliche Intelligenz ohne ausgeprägtes Modebewusstsein versprach. Er trug eine ausgebeulte Jeans von 1996 und ein verblichenes, schwarzes T-Shirt, auf dem ein Schwert schwingender Krieger einen Feuer spuckenden und Flügel schlagenden Drachen ritt. Neben Ralf stand ein kleiner Reisekoffer auf dem Boden.
    «Was machst du denn hier?», fragte Kuli, der es gar nicht fassen konnte, dass sein ältester Freund Ralf hier einfach so vor der Tür stand.
    «Ist die Bude sauber?», antwortete Ralf mit einer Gegenfrage und versuchte misstrauisch an Kuli vorbeizulinsen.
    «Na ja, geht so», sagte Kuli irritiert.
    «Nein, ich meine, ob die Bullen da sind? Oder dieser Politiker? Oder dessen Leute? Oder der Verfassungsschutz? Oder die GSG 9?»
    Kuli winkte ab. «Sind alle weg. Das Thema ist durch.»
    «Dann ist ja gut.»
    «Aber was machst du denn nun hier?», wiederholte Kuli und fand seinen ältesten Freund Ralf ungewohnt zappelig. Normalerweise waren Ralfs Fingergelenke die einzigen Körperpartien, die sich regelmäßig bewegten. Jetzt stand er hier bei ihm im Flur und schwitzte und zitterte leicht und scharrte mit den Füßen.
    «Mir geht’s nicht so gut. Hab ich ja gesagt», sagte er. «Ich brauch eine Unterkunft.» Er blickte hoch. «Hast du einen Computer?»
    «Ganz altes Ding», sagte Kuli. «Kann man nicht mit spielen. Kann man nur Platten mit katalogisieren.»
    «Gut», sagte Ralf erleichtert. «Genau das brauche ich. Muss mal auf Reset drücken. Aufhören mit dem Scheiß. Einen Plan entwickeln. Von vorne anfangen.»
    Er zog die Nase hoch.
    «Schnupfen?», fragte Kuli.
    Ralf schüttelte den Kopf, zögerte, wägte ab und senkte schließlich die Stimme. «Ich hab da so ein kleines Problem.»
    «Okay, ja, aber was denn?»
    «Kokain», flüsterte er.
    «Wer? Was? Du?», hauchte Kuli entgeistert.
    «Ja.»
    «Ach du Scheiße! Kokain?»
    «Ja.»
    «Du?»
    «Ich.»
    «Scheiße!»
    Kuli betrachtete den klapprigen Nerd vor seiner Nase auf eine Art, wie er ihn noch nie
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