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Vamperl soll nicht alleine bleiben

Vamperl soll nicht alleine bleiben

Titel: Vamperl soll nicht alleine bleiben
Autoren: Renate Welsh
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Vamperls Heimkehr
    Das große Tor des Krankenhauses wurde aufgerissen.
    Herr Professor Obermeier trat heraus, an seinem Arm ging eine ältere, rundliche Frau. Hinter ihnen kamen Ärztinnen und Ärzte,
     Krankenschwestern und Pfleger, Putzfrauen und Träger. Alle stellten sich im Halbkreis um den Professor und die Frau mit dem
     Strohhut.
    »Darf ich Sie wirklich einmal besuchen, Frau Lizzi?«, fragte der Herr Professor.
    »Gern«, sagte Frau Lizzi. »Wir werden uns freuen. Und Sie bekommen auch einen guten Kaffee bei mir. Jedenfalls ist er sehr
     viel besser als im Krankenhaus.« Der Professor machte eine Verbeugung wie ein braver Bub.
    »Ich freue mich darauf. Aber jetzt muss ich zurück zu meinen Patienten.« Erwandte sich an eine junge Ärztin. »Begleiten Sie bitte Frau Lizzi zum Taxistand?«
    Der Professor und sein Gefolge verschwanden im Haus. Die junge Ärztin nahm Frau Lizzis Arm.
    »Danke, sehr lieb. Entschuldigen Sie, ich muss mich einen Moment setzen.« Frau Lizzi ging zu einer Bank unter großen alten
     Bäumen.
    »Ist Ihnen nicht gut?«, fragte die Ärztin besorgt, griff nach Frau Lizzis Handgelenk und fühlte ihren Puls.
    »Es geht gleich wieder. Das war doch alles sehr aufregend. Schließlich bin ich nicht mehr die Jüngste und der Vamperl ist
     mein erstes Kind.«
    »Wie bitte?« Plötzlich meinte die Ärztin unter Frau Lizzis Hut ein kleines Gesicht zu sehen, das Grimassen schnitt. Sie wischte
     sich über die Augen und schnappte nach Luft.
    »Das war mein Vamperl«, sagte Frau Lizzi.

    »Wie bitte?«
    Frau Lizzi lachte. »Ich hätte es auch nicht geglaubt, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte«, sagte sie.
    Dann erzählte sie, wie alles gekommen war:
    Wie sie den kleinen Vampir in einem Spinnennetz fand.
    Wie sie zunächst Angst vor ihm hatte.
    Wie er ihr Leid tat.
    Wie sie ihm seine erste Milchflasche gab.
    Wie sie sich an ihn gewöhnte.
    Wie er größer und größer wurde und wie ihm die Milch nicht mehr genügte. Wie er schließlich anfing Leuten Gift aus der Galle
     zu saugen.
    »Das erste Mal war es bei der Mutter vom Hannes. Die Frau Müller wollte den Buben ohrfeigen, nur wegen einem Loch in der Sonntagshose
     und einem grünen Grasfleck. Aber das ist doch kein Grund, oder?«
    »Nein«, sagte die Ärztin.
    Frau Lizzi schmunzelte. »Das Gesicht vom Hannes hätten Sie sehen sollen! Er wartete auf die Ohrfeige – und plötzlich wuschelte
     ihm seine Mutter die Haare. Der hat den Mund nicht mehr zugekriegt.«
    Sie sang der Ärztin das Lied vor, das sie damals für Vamperl gedichtet hatte:

    »Ja – so ein Vampir
    ist kein böses Tier!
    Muss es nicht sein,
    wenn er von klein
    auf Liebe spürt.
     
    Mein Vamperl trinkt nur Milch und mag kein Blut
    und macht die bösen Leute alle wieder gut.
    Wenn einer tobt und schreit, was er kann,
    dann flitzt mein Vamperl lautlos heran,
    saugt ihm ein bisschen Gift aus der Gall’–
    erledigt der Fall!
    Mein Vamperl trinkt nur Milch und mag kein Blut
    und macht die bösen Leute alle wieder gut.«
    »Wie schön«, sagte die Ärztin.
    Frau Lizzi erzählte weiter: »Aber dann wollte doch Ihr Professor den Vamperl als Giftsauger am Krankenhaus haben und hat ihn
     einfach unter einen Glassturz gesteckt. Um ein Haar wär er mir gestorben, mein armer Vamperl. Da hab ich die Glasglocke zerdroschen.
     Natürlich ist der Professor sehr wütend geworden und Vamperl ist ihm gleich an die Galle gegangen. Das schöne, frische Gift
     hat ihn schnell wieder zu Kräften gebracht.«
    Vamperl hob den Strohhut und grinste die Ärztin an.
    »Wenn ich denke, wie viel Gift es auf der Welt gibt, dann würden wir mindestenstausend Vamperln brauchen«, meinte sie.
    »Genau!«, rief Frau Lizzi. »Und jetzt gehen wir nach Hause, Vamperl und ich.« Die Ärztin begleitete sie bis zum großen Tor.
     »Ich habe mich sehr gefreut Sie kennen zu lernen. Alles Gute Ihnen beiden.«
    »Ihnen auch! Da ist ja meine Straßenbahn.«
    Die Ärztin winkte.
    Immer wieder spürte Frau Lizzi, wie Vamperl ihren Hut lüpfte. Immer wieder drückte sie ihn herunter. »Vamperl«, flüsterte
     sie, »sei vorsichtig!«

    Zwei Mädchen drehten sich nach ihr um und kicherten. »Die Oma ist nicht mehr ganz dicht!«
    Vamperls kleine haarige Hand kam unter dem Hutrand hervor und kraulte Frau Lizzis Schläfe. Dabei fiepte er leise.
     
    Kaum hatte Frau Lizzi das Haustor geöffnet, hörte sie Frau Müller schreien: »Eine Schande ist das! Dieses Zeugnis willst du
     deiner Oma zeigen? Es heißt doch gleich wieder, ich
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