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Schiffstagebuch

Schiffstagebuch

Titel: Schiffstagebuch
Autoren: Cees Nooteboom
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man sich in
     der Mitte der Le-Maire-Straße befindet oder in der Nähe eines der Kaps. Die Ebbe strömt in die andere Richtung und setzt eine Stunde nach der Flut
     ein. Bei Staateninsel – von Schouten so benannt nach den Staten-Generaal, dem niederländischen Parlament – fließendie Gezeitenströme
     mit gewaltiger Kraft entlang der Nord- und der Südküste, durch die Intensität prallen die Wogen aufeinander und bewegen sich dann in alle Richtungen. Oft
     ist der Himmel dicht bewölkt, falls er morgens einmal klar ist, kann er sich in kurzer Zeit wieder völlig zuziehen, und dann ist die Sicht gleich null,
     die Windstöße von den Bergen im Zusammenwirken mit dem »normalen«, fast ständig blasenden Westwind haben dieser Region den Beinamen »Seemannsgrab«
     gegeben. Später versuche ich zu lesen, was ich auf der Brücke oder an Deck notiert habe, doch es ist nutzloses Gekritzel geworden, mit dem Wind
     sind wir gefahren, entziffere ich noch, und daß es wogte und schwankte und man später das Gefühl hatte, Stunden durch Schneetreiben gegangen zu sein.

    Isaäc Le Maire, der wußte, daß dieses Gebiet unter der Hoheit der Vereinigten Ostindischen Kompanie (VOC) stand, hatte am 14. Juni 1615 das Projekt einer »Reyse rund um den gantzen Erdtball« in Angriff genommen und zu diesem Zweck die Australische Kompanie gegründet. Das Problem war nur, daß Australien, das Südland, noch nicht entdeckt war. Le Maire griff also mit diesem Namen der Entdeckung einer noch zu erkundenden alternativen Route nach Westen, nach Indien und womöglich auch zum noch nicht gefundenen Australien vor, die nicht durch die Magellanstraße führen sollte, weil dieses Gebiet nun mal von der konkurrierenden VOC beansprucht wurde, die mit der Beschlagnahmung des Schiffes drohte, sollte es doch jemand wagen. Le Maires Schiffe waren die Hoorn und die Eendracht , jagten oder Pinaßschiffe, wie sie zur damaligen Zeit genannt wurden. Die Eendracht war 30 Meter lang, 8,64 Meter breit, hatte drei Masten, und in diesem kleinen Universum lebten 65 Mann. Das Schiff standunter dem Kommando von Willem Corneliszoon Schouten. Le Maires Sohn Jacob führte den Befehl über die Expedition und war der Kommandant der Hoorn . Nach sechs Monaten trafen sie in Patagonien ein, im heutigen Puerto Deseado. Dort geriet bei Reparaturen die Hoorn in Brand, doch noch im selben Monat setzten sie die Fahrt auf der Eendracht fort. Es war natürlich ein Umstand, der zu der damaligen Zeit gehörte, doch wenn ich so etwas lese, muß ich mir immer kurz klarmachen, daß es keine Möglichkeit gab, dieses Ereignis heim nach Hoorn oder wem auch immer zu melden. Wie die beiden Besatzungen (die Hoorn hatte 22 Mann an Bord) auf dem einen Schiff Platz fanden, ist ein Rätsel, aber elf Tage später hatte das Schiff die fast 1500 Kilometer zur erhofften Passage zurückgelegt, die heute also Le-Maire-Straße heißt. Ungefähr dort befinden wir uns jetzt, und wieder muß ich daran denken, daß ich jetzt sehe, was sie damals sahen. Sie segelten weiter zu einer Inselgruppe, der sie den Namen Hoorn-Inseln gaben, wir fahren nach Norden, nach Puerto Madryn, wo wir uns eine große Pinguinkolonie ansehen wollen. Die Reise Le Maires, die kein gutes Ende nahm, wurde später in seinem Buch beschrieben, das 1622 postum erschien. Die Eendracht überquerte die riesige Fläche des Pazifischen Ozeans und fuhr nördlich am gesuchten Australien vorbei nach Jacatra, dem heutigen Jakarta, doch weil Jan Pieterszoon Coen, der dortige Befehlshaber der VOC, nicht glauben wollte, daß Le Maire eine neue Passage gefunden hatte und infolgedessen durch die verbotene Magellanstraße gefahren sein mußte, wurde die Besatzung gefangengesetzt und das Schiff beschlagnahmt. Die Rehabilitierung sollte erst viel später erfolgen, doch da war Jacob Le Maire bereits tot.
    Wenn wir geglaubt hatten, bei Kap Hoorn habe schwerer Seegang geherrscht, so werden wir einige Tage später eines Besseren
     belehrt. Schaukeln, Schlingern, Sturm, aber diesmal ein richtiger. Es scheint, als müsse das große Schiff jedesmal die Wogen hinaufsteigen, bevor es auf
     der anderen Seite wieder hinunterrutscht. Fünf Meter hohe Wellen, Windstärke 10. Am beeindruckendsten finde ich das Tosen der Böen und die Wassermassen,
     die übers Deck schlagen, wo man sich mit beiden Händen an der Reling festhalten muß. Viele Passagiere sind in die Kabinen verschwunden, ich leide nicht
     unter Seekrankheit und bin einer der wenigen, die noch
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