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Schicksalspfad Roman

Schicksalspfad Roman

Titel: Schicksalspfad Roman
Autoren: Catherine Bourne
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völlig überraschend entwickelt und mit dem ersten Krebs nichts zu tun hatte, meinten die Ärzte. Grace war wie vernichtet. Sie nahm es viel schlimmer auf als Gary. Während seines raschen, schrecklichen Verfalls wich sie nicht von seiner Seite. Sie fütterte ihn, wechselte sein Bettzeug, pflegte ihn. Anfang August war er gestorben.
    »Oh, Gary«, mumelte Grace, während sie den zweiten Katheter aus Mr. Hos Venen zog. »Gary, Gary.«
    Was für eine Verschwendung, was für eine Schande. Drei Jahre später weinte sie immer noch oft. Ein Jahr nach seinem Tod hatte sie sich ein paar Mal mit Männern verabredet, aber niemand war mit Gary zu vergleichen.
Es gab erstaunlich viele Nieten. Entweder lag es daran, oder sie hatte einfach Pech. Sie hatte nicht aufgegeben (obwohl Joanne das behauptete), doch sie suchte nicht mehr aktiv nach einem neuen Mann. Es war alles zu deprimierend.
    Sie warf den Katheter in den Abfall. Als sie den Blick senkte, sah sie unter ihrem Gummihandschuh hellrotes Blut aufquellen. Was war passiert? Mr. Ho schien es nicht zu bemerken, und Grace wollte ihn nicht darauf aufmerksam machen. Aus irgendeinem Grund gerann das Blut nicht. Grace drückte fester zu. Mr. Ho stöhnte leise auf. Das Blut floss nun an seinem haarlosen Bein entlang auf das weiße Laken. Grace ermahnte sich, nicht in Panik zu geraten, aber sie war entsetzt. Überall war nun Blut und niemand in der Nähe. Sie hätte nach Hilfe klingeln können, entschied sich aber dagegen, denn sie wollte die Blutung selbst stoppen. Derweil schlief Rick Nash vermutlich wie ein Baby. Verdammte Scheiße , murmelte sie verhalten, wusste aber nicht genau, ob sie damit Rick meinte, Gary oder selbst Mr. Ho, dessen unkontrollierbares Blut wie ein Angriff auf sie wirkte. In ihrer Angst und Wut dachte sie einen Moment lang daran, aufzugeben und ihn verbluten zu lassen. Doch dann, genauso plötzlich, wie sie aufgekommen war, begann die Flut zu versiegen. Grace spürte, wie das gerinnende Blut an ihren Händen kleben blieb. Sie holte tief Luft und wischte sich mit der Schulter den Schweiß vom Gesicht.
    Da hörte sie ein Geräusch. Erschrocken drehte sie sich um und sah Fred Hirsch, der in einem weißen Hemd und Jeans lässig am Türrahmen lehnte und sie angrinste. Dann klatschte er langsam ein paar Mal in die Hände.

    »Gut gemacht, Cameron«, sagte er leise. Für einen Mann seines Alters wirkte er erstaunlich jugendlich.
    »Wie lange stehen Sie da schon?«, fragte Grace. »Ich dachte, Sie wären schon vor Stunden gegangen.«
    »Ich musste wegen einer kleinen Krise bei Mrs. Weinstock zurückkommen.«
    Das war der Riesenunterschied zwischen Fred und Rick Nash!
    »Sie hätten mir helfen können«, sagte Grace. Jetzt lächelte sie, weil sie erleichtert war, ihre eigene Krise überstanden zu haben.
    »Ist das nicht Nashs Patient?«, fragte Fred listig.
    Grace errötete. Es war peinlich, wenn Fred nun wusste, dass sie Ricks Aufgabe übernommen hatte. »Nun ja«, erwiderte sie resigniert, »irgendjemand musste es tun.« Sie zog die blutigen Handschuhe aus und warf sie zu dem anderen Abfall in den roten Eimer. Dann wandte sie sich dem Patienten zu. »Wir machen das sofort sauber, Mr. Ho, okay?« Mr. Ho nickte, immer noch mit geschlossenen Augen. Er hatte keine Ahnung, was passiert war.
    »Ich hatte auch gerade einen fantastischen Abend«, sagte Fred nun. »Wir waren im Vanguard , wo gerade Lou Donaldson auftrat. Das Mädchen ist toll: achtundzwanzig, fantastisch aussehend, und sie macht gerade ihren Magister in Anthropologie an der Columbia Uni. Spricht vier Sprachen …«
    »Wow«, erwiderte Grace. »Beeindruckend.«
    »Und erst ihre Figur …«, fuhr Fred fort.
    Grace verehrte Fred, aber sie wollte eigentlich nicht sämtliche Einzelheiten über seinen tollen Abend hören.
Fred ging regelmäßig mit Frauen in Jazzclubs, Symphonieorchester, Ballettvorstellungen und die neuesten Restaurants. Das Ende der Geschichte bildete stets eine Knutscherei auf dem Rücksitz eines Taxis. Die Frauen waren ausnahmslos »fantastisch« und »supertoll« und in den Zwanzigern. Doch trotz seines Rufs als weltgewandter Mann fuhr Fred einen vierundachtziger Mercedes und telefonierte jeden Tag mit seiner neunzigjährigen Mutter in Florida.
    Grace gelang es, in den Waschraum zu entkommen, wo sie sich erst einmal Mr. Hos Blut vom Arm schrubbte. Ich muss hier raus, dachte sie. Als sie vor fünf Jahren hier anfing, nach Jobs in Lenox Hill und Sloan-Kettering, war sie richtig aufgeregt
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