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Schattenwandler 02. Gideon

Schattenwandler 02. Gideon

Titel: Schattenwandler 02. Gideon
Autoren: Jacquelyn Frank
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Puls und der erhöhte Blutdruck hätten ihn verraten. Und sie spürte große Sorge hinter seiner Furcht, da war sich Legna ganz sicher.
    Sie empfand es nicht als Beleidigung, dass Noah sie anlog oder dass er etwas vor ihr verbarg, denn als ihr Bruder hatte er immer das Bedürfnis gehabt, sie zu beschützen, egal, wie alt oder wie mächtig sie geworden war. Es war ihm vollkommen klar, dass sie seine beeindruckenden Versuche, seine Gefühle vor ihr abzuschirmen, mühelos umgehen konnte. Er hoffte einfach, dass sie aus Liebe zu ihm über die leichte Verdrehung der Wahrheit hinwegsehen würde.
    „Noah“, sagte sie leise mit dieser wunderbaren und so besänftigenden Stimme.
    Sie fuhr ihrem Bruder durch die Locken über seiner Stirn. Die Berührung half ihr, Verbindung mit seinen Synapsen aufzunehmen und seine durcheinanderwirbelnden Gedanken zu lesen. Sie schlüpfte in ihn hinein, ihr Geist und ihre Macht umhüllten ihn beruhigend, linderten seine Angst um sie und stärkten das Vertrauen in seine Fähigkeiten, dass er diejenigen, denen er diente, beschützen konnte, so wie es noch vor fünf Monaten ganz selbstverständlich gewesen war für ihn.
    Diesmal ließ Noah ihren Trost zu, ließ sich besänftigen. Bisher hatte er sich immer dagegen gewehrt, er hatte sich so schuldig gefühlt, dass sie in diese Gefahr geraten war, dass er es sich nicht erlaubte, sich besser zu fühlen. Er wollte seine Furcht und seine Schuldgefühle als Antrieb nutzen, damit sie den Abberufungen nicht mehr wehrlos ausgeliefert waren. Eine Suche, die schon fast so lange dauerte, wie die Welt bestand. Aber er hatte sich nur aufgerieben. Jetzt tat es ihm gut, getröstet zu werden und Vergebung zu erfahren. Er war bereit für Legnas Sündenerlass.
    „Du bist Vater so ähnlich“, murmelte sie leise, und ihre Stimme glitt über seine Seele wie Balsam. „Ich war so jung, aber ich habe nie vergessen, wi e … übermenschlich groß er mir immer vorgekommen ist. So stark, so beschützend. Wenn er in der Nähe war, hatte ich nie Angst. Ich weiß, du sagst, ich sei noch zu klein gewesen, aber ich habe es immer mit meiner ganzen Seele gespürt.“
    Noah war so überwältigt von den Gefühlen, die sie in ihm weckte, dass er die Hand nach ihr ausstreckte und sie fest in seine Arme zog, um ihr zu zeigen, wie dankbar er ihr war. Sie hatte genau die richtigen Worte gewählt, und auch wenn er wusste, dass das zu ihren besonderen Fähigkeiten als Dämonin gehörte, war er doch glücklich darüber.
    „Legna“, seufzte er, „ich wünschte so sehr, Mutter könnte sehen, wie schön du geworden bis t … und wie stark.“
    Legnas Augen wurden feucht, und auch sie drückte Noah fest an sich. Sie war damals viel zu jung gewesen, um sich noch genau an ihre Eltern erinnern zu können, aber ihren Vater hatte sie immer mächtiger empfunden als ihre Mutter, die nur eine geisterhafte Erscheinung gewesen war. Noah hatte sie jahrhundertelang gekannt, und er hatte Legna viele Geschichten von ihr erzählt. Und das hatte er bei ihrem Vater getan, als er seine Schwester allein großzog, nachdem ihr Vater innerhalb eines Jahres nach dem Tod der Mutter abberufen worden war. Der Vollstrecker war gezwungen gewesen, ihn in seiner transformierten Gestalt zu töten, aber Noah hatte Jacob das nie zum Vorwurf gemacht. Wie über vieles, was einfach zu schmerzlich war, wollte er auch über den Tod ihrer Eltern niemals sprechen.
    Dämonen waren unsterblich, aber eigentlich bedeutete es eher, dass sie sehr lange lebten. Sie waren einfach schwierig umzubringen, und das trug dazu bei, dass sie eine lange Lebensspanne hatten. Wenn Dämonen also ihre Geschwister oder ihre Eltern oder andere Mitglieder der Familie verloren, dann gewöhnlich durch Gewalt. Und ein solches Ereignis hinterließ Spuren in den empfindsamen Seelen der Hinterbliebenen. Noah hatte sich immer geweigert, Legna zu erzählen, wie ihre Mutter damals gestorben war. Und alle anderen in ihrer Umgebung wussten um seinen Wunsch und schwiegen ebenfalls beharrlich.
    Dagegen konnte sie sich noch genau an den Tag erinnern, als ihr Vater von einem verfluchten menschlichen Nekromanten abberufen worden war. Sie wusste, dass Noah sich auch daran erinnern konnte. Und es war klar, warum das Trauma des letzten Samhain ihn so schwer getroffen hatte. Sie brauchte nicht in seiner Erinnerung zu lesen, wie er hatte zusehen müssen, als sich ihr Körper in nichts auflöste, um zu wissen, welche Wunden dieser Augenblick bei ihm hinterlassen hatte.
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