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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss
Autoren: Silvia Roth
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Sicherheitsglas. Es sah wie ein in Rekordzeit gebautes Spinnennetz aus.
    Sie schießen, dachte Winnie Heller ungläubig, auch wenn die Erkenntnis durchaus zu ihren vorangegangenen Beobachtungen zu passen schien. Irgendwer ballert hier mit scharfer Munition in der Gegend rum!
    »Wird’s bald, auf den Boden!«, wiederholte die Stimme, die sie bereits zuvor gehört hatte, und der Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass der Mann ernst machen würde, wenn sie seiner Aufforderung nicht nachkamen. »Alle!«
    Im selben Moment pfiff bereits der nächste Schuss durch die gelähmte Stille, die der Aufforderung des Mannes gefolgt war, und Winnie Heller, deren Augen noch immer an dem inzwischen blinden Panzerglas klebten, tat zwei Dinge gleichzeitig: Sie warf sich auf die Erde und schleuderte ihr Handy unter einen Kübel mit Hydrokulturpflanzen, der – das wusste sie plötzlich, obwohl sie sich beim besten Willen nicht daran erinnern konnte, ihn bewusst wahrgenommen zu haben – nur ein paar Meter entfernt vor einem Flipchart stand.
    »Keiner rührt sich von der Stelle, kapiert?!«
    Wieder derselbe Kerl. Ein Mann, ganz eindeutig. Einer, der lupenreines Hochdeutsch sprach. Doch was wollte er? War das hier tatsächlich ein Überfall, ein ganz banaler Bankraub? Aber wozu dann die Schüsse? Um Entschlossenheit zu demonstrieren? Ging es darum, die Anwesenden einzuschüchtern? Die Grenzen abzustecken? Oder gab es in diesem Raum tatsächlich irgendjemanden, von dem man Widerstand erwarten konnte?
    Winnie Heller schielte nach der Dicken, die japsend vor Aufregung ein paar Armlängen entfernt lag. Sie hatte beide Hände hinter den Kopf genommen und presste ihre feiste Stirn auf den Marmor, als böte der harte Boden Schutz gegen das, was nun folgen würde. Winnie Heller starrte den Einkaufsroller an, dessen eines Rad sich noch immer stumm in der Luft drehte, und versuchte, wenigstens einen Hauch von Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Es waren zwei Angreifer, mindestens zwei. Der Schatten und die Stimme. Und sie benutzten Schalldämpfer. Das wiederum bedeutete, dass es sich nicht um Amateure handelte. Dass sie gut organisiert waren. Dass sie ...
    Weiter kam sie nicht.
    »Pass auf!«, schrie eine Männerstimme, eine andere als die, die bislang die Befehle gegeben hatte. »Da drüben!«
    Sekundenbruchteile später fauchte ein weiterer Schuss durch die hohe Halle, deren sterile Nacktheit alle Geräusche bis an die Schmerzgrenze verstärkte.
    Dem Schuss folgte ein gedämpftes Geräusch, das wie ein Aufprall klang.
    Dann war es auf einmal vollkommen still.
    Die plötzliche Lautlosigkeit war wie ein Strudel, der im Handumdrehen alle Anwesenden erfasste und dem bei aller Gewalt, mit der er die Konzentration der Beteiligten auf sich zog, etwas seltsam Irreales anhaftete. Atemlos wartete Winnie Heller darauf, dass etwas geschehen würde. Ein Wortwechsel. Ein neuerlicher Befehl. Irgendein Laut, der ihr verriet, was hier vorging. Oder ihr doch zumindest bestätigte, dass sie nicht träumte. Doch bis auf das erstickte Keuchen der Dicken blieb es beängstigend still.
    Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Gegen jede Vernunft hob sie den Kopf und sah nach der gegenüberliegenden Wand, dorthin, wo die Büros waren. Der Kassierer, der noch vor wenigen Minuten an seinem Computer gestanden und mit dem Problem der Dicken gerungen hatte, lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Marmor, vielleicht zwölf, fünfzehn Meter von ihr entfernt. Er rührte sich nicht, und selbst noch auf die Entfernung konnte Winnie Heller den tiefdunkelroten Fleck sehen, der unter seiner Schulter hervorquoll und der mit jeder Sekunde, die verstrich, größer zu werden schien. Im selben Moment tauchte etwas weiter links ein maskierter Mann auf. Er hielt eine MP5 im Anschlag und trieb eine Blondine im knappen grauen Businesskostüm vor sich her. Die Frau hatte sich augenscheinlich in einem der Büros aufgehalten, und nackte Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben, als der Bewaffnete sie mit einem derben Stoß zu Boden stieß, wo sie regungslos liegen blieb.
    Deine Brieftasche!, fuhr es Winnie Heller durch den Sinn. Wenn sie sich die vornehmen, finden sie deinen Dienstausweis. Und wenn sie erst mal mitgekriegt haben, dass du Polizistin bist ...
    Sie schluckte und ließ den Kopf wieder auf den Marmor sinken. Dann drehte sie sich langsam, Zentimeter für Zentimeter zur Seite. Ihr war klar, dass sie mit äußerster Vorsicht vorgehen musste, wenn sie auch nur den Hauch einer Chance
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