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Der Fehler des Colonels

Der Fehler des Colonels

Titel: Der Fehler des Colonels
Autoren: Dan Mayland
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1
    Baku, Aserbaidschan
    Die erste Augustwoche war die heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Baku. Der Gestank nach Erdöl und Schwefel verseuchte die stickige Luft, Weinreben welkten und trotz der halbherzigen Bemühungen der städtischen Arbeiter, die mit riesigen Bewässerungslastern herumfuhren, färbte sich das Laub der Olivenbäume braun.
    Die Leute schauten aufs Meer und schüttelten den Kopf. Sie konnten nicht glauben, dass es immer noch kein Anzeichen für den Chasri gab, den kräftigen Nordwind, der häufig von Russland herunter wehte. Bald müsse er kommen, sagten sie.
    Aber in diesem Sommer wehte höchstens ein leises Lüftchen aus dem Süden, aus den Schmelzöfen der iranischen Wüsten Kawir und Lut. Die zweite Augustwoche brachte keine Erleichterung, die dritte auch nicht. Die Kinder rannten morgens durch das warme Wasser des Brunnenplatzes, aber mittags waren die brütendheißen Straßen leer gefegt bis auf Autos mit Klimaanlage und verwilderte Katzen, die unter den Bänken am Straßenrand schliefen.
    Der Chasri kam dann doch, aber erst Mitte der vierten Woche.
    Als er kam, holte der kühle Wind die Menschenmengen und die Volksfestmusik auf die langen Promenaden an der Baku-Bucht zurück. Und abends saßen die Leute wieder auf ihrem Balkon.

    Der ehemalige CIA-Chief of Station Mark Sava hatte nie eine Stadt kennengelernt, die ihre Balkone so liebte wie Baku. Selbst die Sowjets waren, als sie die Stadt mit ihren Betonsiedlungen entstellten, zivilisiert genug gewesen, jede Wohnung ab dem ersten Stock mit einem Balkon zu versehen. Selbstverständlich hatte also auch seine Wohnung in einem brandneuen zwanzigstöckigen Gebäude einen Balkon.
    An jenem Abend, an dem der Wind zu wehen begann, schlief Mark draußen. Das heißt, er schlief, bis jemand bei ihm anklopfte.
    »Hast du das gehört?«
    Die Frau, die neben ihm lag, schlug träge die Augen auf. »Was gehört?«
    »Da ist jemand an der Tür.«
    »Nein.« Die Frau, die Nika hieß, hob den Kopf von seiner Brust und streckte ihre nackten hellbraunen Arme aus. »Wie spät ist es?«
    Der Halbmond hing am Himmel. Mark griff nach seiner Armbanduhr, die am Boden lag, und drehte sie so, dass blasses Mondlicht darauf fiel, aber er hatte seine Lesebrille nicht auf, und auch als er die Augen zusammenkniff, konnte er den Stunden- und den Minutenzeiger nicht unterscheiden.
    Nika nahm ihm die Uhr aus der Hand. »Es ist bald Mitternacht. Ich sollte ein Taxi rufen.«
    Mark überlegte, dass vielleicht jemand bei der Nachbarwohnung angeklopft hatte. »Ich fahre dich.«
    Nika lächelte und bettete ihren Kopf wieder auf Marks Schulter. »Okay.«
    Sie lagen eng aneinander geschmiegt auf der gepolsterten Liege, umgeben von Tomatenpflanzen in Töpfen. Nikas feuchter Atem auf seiner Brust und das Gewicht ihres Beins auf den seinen störten ihn ein wenig.
    Acht Stockwerke tiefer herrschte Ruhe auf den Straßen von Baku, abgesehen von einem alten russischen Lieferwagen, der über die Schlaglöcher rumpelte. Trotz der Brise war die Luft stickig und heiß, und sie stank nach Erdöl.
    Mark küsste Nika auf den Kopf und schloss die Augen, immer noch groggy von der Literflasche georgischen Weins, die sie an diesemAbend geleert hatten. Nikas Haar roch nach Sand und Salzwasser und erinnerte ihn an den Tag, den sie mit Nikas Sohn verbracht hatten.
    Aber dann fing das Klopfen wieder an, diesmal mit mehr Nachdruck. Nika erstarrte. »Es ist spät«, sagte sie.
    »Ich sehe nach, wer es ist.«
    Mark stand auf und suchte ohne Erfolg nach seiner Unterwäsche. Wieder zerriss ein maschinengewehrartiges Klopfen die Stille. Verdammter Mist, dachte er und gab auf. Er zog sein Hemd und die Hose über und schlüpfte barfuß in schwarze Halbschuhe. Als er in die Wohnung trat, hörte er, wie jemand mit einem stumpfen Gegenstand gegen die Tür hämmerte.
    Er spähte durch den Spion und sah gerade noch, wie ein untersetzter Mann in grauer Uniform seine Waffe in das Holster steckte. Mark überlegte, wie schlimm der Schaden an der Tür sein mochte und wie viel ihn die Reparatur kosten würde.
    Blöder Scheißkerl, dachte er.
    Nika schaltete hinter ihm das Licht an und zog ihren Rock hoch. Blinzelnd stellten sich Marks Augen auf die Helligkeit ein. Die leere Weinflasche stand immer noch auf der Küchentheke. Nikas schwarzes Haar war zerzaust. Am liebsten hätte er das Licht ausgemacht und wäre wieder auf seinen ruhigen, friedlichen Balkon zurückgekehrt.
    Stattdessen blickte er noch einmal durch
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