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Bianca Lancia - die Buhle des Kaisers

Bianca Lancia - die Buhle des Kaisers

Titel: Bianca Lancia - die Buhle des Kaisers
Autoren: Philipp von Zabern Verlag
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|5| Prologus
    Wunderliche Gedanken gingen dem Kaiser durch den Kopf. Als er am Morgen dem Schreiber mit matter Stimme etwas diktierte und nach dem Datum fragte, flüsterte der Mann ehrfurchtsvoll: „
Decembris decimus, Maiestas
.“
    Jetzt, einige Stunden später, bohrten sich diese Worte zwischen andere Gedanken, schoben sie beiseite wie unnützen Ballast.
Decimus Decembris

Decembris decimus
. Warum der zehnte Monat, wo er doch eigentlich der letzte, der zwölfte sein sollte? So müßte es eigentlich
duodecimus
– der Zwölfte – heißen. Hatte er diese Frage als Siebenjähriger nicht schon seinem Lateinlehrer Francisius gestellt? Ein Deutsch-Sizilianer, mit dem Vornamen Friedrich Wilhelm – Federico Guglielmo. Der Kaiser flüsterte die Namen vor sich hin und sogar die deutsche Form ging ihm leicht von den Lippen – dank Bianca. Auch mit Adelheid hatte er Deutsch gesprochen, ein sehr dürftiges Deutsch zwar … Wieder schob dieser lästige
Decembris decimus
alles andere beiseite. Ja, warum der zehnte Monat? Weil, so Magister Francisius, bei den alten Römern das Jahr mit dem ersten März begann und so der Dezember als zehnter Monat gezählt wurde. Das war noch vor Julius Caesar …
    Der Kaiser blickte zum Fenster, wo sich draußen die Blätter der alten Steineiche im Wind bewegten wie Kastagnetten, und er glaubte sogar das erregte Klappern zu hören, als sei die Eiche eine vielarmige Tänzerin und hielte in Dutzenden von Händen dieses – dieses Musikinstrument. Lässt sich das Scheppern von Kastagnetten schon als Musik bezeichnen? Er schloss die Augen und hörte die leisen Stimmen des Arztes Johannes von Procida, der sich mit Manfred unterhielt. Sie standen am Fenster, doch nicht so nahe beieinander, dass sie die Eiche ganz verdeckten. Magister Johannes liebte den Abstand, umso mehr, da Manfred als kaiserlicher Prinz im Rang unendlich hoch über ihm stand. Der Medicus war kein Mann, der so etwas vergaß.
    Der Kaiser fühlte sich so unendlich schwach, dass er glaubte, kein Glied regen zu können. Neugierig wie stets machte er einen Versuch. Zu glauben, bedeutete auch, etwas anzunehmen, zu |6| vermuten. Wenn sich das Experiment bestätigte, wurde Wissen daraus. Er konzentrierte seinen Willen darauf, die linke Hand zu heben, und sah, wie seine abgemagerten, fast skelettierten Finger eine Spanne über der Bettdecke schwebten – zittrig und kraftlos. Schnell ließ er die Hand wieder sinken, doch der Medicus, der auch während des Gesprächs immer wieder seinen Blick auf das Bett gerichtet hatte, verstand es als einen Wink und kam schnell näher.
    „Majestät?“
    Friedrich hatte bei seinem Kommen die Augen geschlossen und stellte sich schlafend. Hatte Johannes es bemerkt? Nein, im Zimmer war es auch am Vormittag so dämmrig, als kündige sich schon die Nacht an. Das lag an den grauen Wolkenfetzen, die so hurtig über den Himmel sausten, als seien sie von Gott zu einer eiligen Audienz befohlen.
Decembris decimus
spaltete aufs Neue seine Gedanken. Da wurde der Kaiser unwillig und rief: „Nein, jetzt nicht!“ Doch er glaubte nur, es gerufen zu haben, in Wahrheit war es nur ein kaum hörbares Flüstern gewesen – so leise, dass sogar der stets aufmerksame Medicus es nicht bemerkt hatte. Prinz Manfred aber, sein liebster Sohn, sprach mit kaum gedämpfter Stimme. Er nahm wenig Rücksicht auf den Kranken – ein Vorrecht kraftvoller und auch gedankenloser Jugend.
    So schwach sein Körper war, so geschärft war sein Gehör. Der Hofstaat fürchtete es, denn der Kaiser vernahm kritische Worte, auch wenn sie leise und ganz hinten im Saal gesprochen wurden. So versuchte er jetzt, ganz Ohr zu sein. Im Laufe seines Lebens hatte er festgestellt, dass die menschlichen Sinnesorgane über den Kopf zu steuern waren, nicht in jedem Fall und mit einer kleineren oder größeren Fehlerquote, aber manchmal war das sehr hilfreich; beim Verrat des Pietro delle Vigne etwa, der sich lateinisch Petrus de Vinea nannte und darauf achtete, so angesprochen und angeschrieben zu werden.
    Wieder schlugen seine Gedanken Haken, wie der vom Falken gejagte Hase. Nutzlose Finten natürlich, im Falle des Hasen, denn das Hakenschlagen hatte nur einen Sinn, wenn ein
quadrupes
ihn verfolgte, also Fuchs oder Hund. Der Falke aber stieß von oben herab, da gab es kein Entrinnen. So erging es den meisten seiner Feinde, er stieß von oben herab, aus der Höhe seiner kaiserlichen Erhabenheit, und all diese Verräter, Wort- und Eidbrüchigen mochten |7|
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