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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss
Autoren: Silvia Roth
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aber in diesen Dingen hast du ja, weiß Gott, ausreichend Übung.«
    Lübke sagte nichts, doch sie konnte deutlich spüren, dass ihre harschen Worte ihn verletzt hatten.
    »Du, entschuldige, aber ich muss jetzt wirklich Schluss machen«, sagte sie hastig. »Wir hören uns, okay?«
    Doch Hermann-Joseph Lübke hatte sich inzwischen gefangen und dachte überhaupt nicht daran, sie so einfach aus der Sache rauszulassen. »Was zur Hölle ist eigentlich los mit dir?«, polterte er.
    »Mit mir?« Winnie Heller strich sich wütend eine ihrer frisch definierten Stufen aus dem Gesicht. »Was soll mit mir los sein?«
    »Ich weiß nicht, aber du benimmst dich so seltsam in der letzten Zeit. Irgendwie so ... Wie soll ich sagen?« Aus dem Hörer drang ein heiseres Keuchen, während Lübke nachdachte. »So reizbar.«
    »Reizbar? Ich?« Winnie Heller lachte laut auf. »Du bist ja nicht bei Trost, Lübke. Und weißt du was? Wenn’s dich so nervt, wie ich bin, dann lass mich doch einfach in Ruhe.«
    Sie drückte auf die Taste mit dem roten Hörer, bevor er noch irgendetwas entgegnen konnte, und stürmte dann entschlossenen Schrittes auf die Automatiktür mit dem charakteristischen roten Logo zu, die im Licht der untergehenden Sonne wie flüssiges Gold funkelte.
    Angesichts der Uhrzeit rechnete sie fest damit, dass ihr der Eintritt verwehrt bleiben würde, doch die beiden Flügel glitten bereitwillig auseinander, kaum dass sie die Lichtschranke passiert hatte, und eröffneten ihr ungehinderten Zugang zu einer großzügigen, mit hellgrauem Marmor ausgelegten Halle.
    Die zahlreichen Beratungsterminals waren bereits feierabendlich verwaist, doch an den drei Schaltern im hinteren Teil der Filiale schien tatsächlich noch so etwas wie eine Transaktion möglich zu sein.
    Winnie Heller stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und nestelte den Umschlag mit dem Geld aus ihrer Hosentasche. »Na, das ist ja gerade noch mal gut gegangen«, murmelte sie, indem sie einer jungen Mutter mit Kinderwagen auswich, die offenkundig bereits erledigt hatte, weswegen sie gekommen war. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn sie die eintausendsiebenhundertfünfzig Euro, die ihre Kollegen für die alljährliche Ostertour ihrer Pokerrunde gesammelt hatten, nicht fristgerecht auf das Konto ihres spanischen Reiseveranstalters ein gezahlt hätte. Immerhin würde sie sich nachher ohnehin schon jede Menge bissige Kommentare anhören müssen, weil sie nicht mitfuhr, und wenn sie da auch noch die Einzahlung vermasselt hätte, wäre sie bei ihren Pokerkumpanen vermutlich für den Rest ihrer Tage untendurch gewesen. Schlimm genug, dass Verhoeven ihr hinsichtlich ihrer Teilnahme einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte! Winnie Heller merkte, wie die Erinnerung an das Gespräch, das sie vor zwei Tagen mit ihrem Vorgesetzten geführt hatte, die Wut aufs Neue in ihr hochkochen ließ. Sie hatten im Aufzug gestanden, als Verhoeven ihr – noch dazu quasi in einem Nebensatz – eröffnet hatte, über Ostern ein paar Tage in Urlaub gehen zu wollen. Und dann wagte es dieser Kerl doch tatsächlich, ihr auch noch mit der Frage zu kommen, was sie selbst denn über die Feiertage vorhabe!
    Na ja, ich schätze, ich verstecke ein paar von den besonders reichhaltigen Vitaminpillen unter der Mangrovenwurzel und sehe zu, wie die Jungs sich auf die Suche machen , hatte sie sich wie so oft, wenn sie enttäuscht war, auf einen Scherz gerettet. Und ihr Vorgesetzter hatte sie angesehen, als müsse er allen Ernstes überlegen, ob sie meinen konnte, was sie da sagte. Irgendwann war er dann in ein mehr als halbherziges Lachen ausgebrochen und hatte von seiner Tochter gesprochen, die sich noch im vergangenen Jahr mit ihrem Kinderteleskop und seiner Digitalkamera auf die Lauer gelegt habe, um den Osterhasen sozusagen in flagranti zu erwischen, während sie selbigen inzwischen mit einem milden Lächeln und dem Hinweis abtat, dass Hasen Säugetiere und als solche überhaupt nicht in der Lage seien, Eier zu legen, was vermutlich nichts anderes bedeute, als dass ihre Eltern sie seit Jahren nach Strich und Faden belogen.
    Der Gedanke an die Tochter ihres Vorgesetzten, einen dunkelgelockten Wildfang von fünfeinhalb Jahren, entlockte Winnie Heller gegen ihren Willen ein Lächeln. Nicht zuletzt deshalb, weil die Kleine zu ihrer größten Verwunderung einen echten Narren an ihr gefressen hatte. Tatsächlich ging die Sympathie so weit, dass Nina Verhoeven ihrem Vater erst vor ein paar Wochen eine
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