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Schattennetz

Schattennetz

Titel: Schattennetz
Autoren: M Bomm
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gefallen«, informierte die Stimme im Lautsprecher.

47
     
    Alles geschah nun gleichzeitig. Aus allen Richtungen huschten SEK-Beamte nahezu lautlos an das Gebäude heran und öffneten die blaue Eingangstür, die wider Erwarten nicht verschlossen war. Andernfalls, so war es geplant gewesen, wären sie durch die Fenster an der Stirnseite eingedrungen. Im dunklen Flur orientierten sie sich zunächst mithilfe von Stablampen. Innerhalb weniger Sekunden hatten sie festgestellt, dass sich im Erdgeschoss keine Personen aufhielten. Einer der Männer deutete mit dem Lichtstrahl zum Treppenhaus. Die anderen hielten, ihre Maschinenpistolen nach oben und näherten sich dem Abgang, den jetzt ein weiterer Beamter mit einer Handlampe ausleuchtete. Unten flackerte die Sturmlampe. Dumpf hallten wütende und schreiende Männerstimmen herauf. Der Beamte mit der kleinen Taschenlampe lauschte, konnte aber kein Wort verstehen. Es wurde offenbar wild durcheinander gebrüllt, Holz schepperte. Für den Kommandoführer bestand kein Zweifel, dass dort unten ein Kampf entbrannt war. Er gab seinen Kollegen ein Handzeichen, was diese sofort zu deuten wussten. In Zweierreihen schlichen sie die Stufen hinab, drückten sich an die weiße Wand, blieben vor dem leeren Lagerraum stehen, den das flackernde Kerzenlicht nur spärlich und damit gespenstisch ausleuchtete. Das Kampfgeschrei war jetzt deutlich zu hören. Der Mann an der Spitze der Einsatzgruppe blickte vorsichtig in den großen Lagerraum und sah an der schräg gegenüberliegenden Seite die leicht erhellten Umrisse einer Tür. Von dort drangen auch die Schreie heraus. In der Luft hing der beißende Geruch nach Pulverdampf.
    Der Kommandoführer gab ein weiteres Handzeichen, eilte quer durch den Raum und beobachtete, wie die zwei Dutzend Kollegen vor der Tür in Stellung gingen – so, wie sie es schon zigmal geübt und auch schon viele Male in der Realität erlebt hatten. In solchen Fällen kam es stets auf den Überraschungseffekt an. Heute aber war eines anders: Hinter dieser Tür befand sich ein Kollege. Einer, der vermutlich viel zu lange auf Hilfe gehofft hatte. Einer, der hoffentlich noch lebte.
     
    Linkohr und Fludium versuchten, sich gegenseitig Mut zu machen. Die übrigen Kollegen konnten sich nicht auf ihre Akten konzentrieren. »Hat denn der Kollege aus Bischofswerda gesagt, dass er sich noch mal meldet, wenns was Neues gibt?«, fragte eine Stimme aus dem Hintergrund.
    »Die haben bei Gott anderes zu tun.«
    »Ich ruf an«, entschied Linkohr und suchte die Nummer, die er sich notiert hatte. Augenblicke später hatte er das Revier in der Oberlausitz an der Strippe. Diesmal gab sich der Kollege gleich kooperativ. »Sie sind rein«, erklärte er und versprach, sofort zurückzurufen, wenn er am Funk etwas in Erfahrung bringen könne. Linkohr bedankte sich genervt und legte enttäuscht auf.
    »Häberle hats bisher immer geschafft«, kommentierte ein Beamter die Situation.
    »Bisher immer – ist nicht auch in Zukunft immer«, meinte ein anderer negativ gestimmt.
    »Wenn er in den ganzen Stasischlamassel reingeraten ist, hat ers mit anderen Strukturen zu tun als bei den üblichen Kriminellen«, resümierte ein Dritter.
    Fludium ging derlei Missmut gegen den Strich. »Kollegen, bitte«, sagte er eindringlich, »Häberle hats schon mit vielerlei Kaliber zu tun gehabt. Wenns sein muss, haut er die Jungs durch die Wand.«
    Linkohr hoffte inständig, dass er recht haben würde.
     
    Wenn Häberle noch lebte, musste er über sich ergehen lassen, was in solchen Fällen unvermeidlich war: eine Blendgranate. Vermutlich würde er nach der ersten Schrecksekunde sofort reagieren und sich flach auf den Boden legen. Einer der Spezialisten der Einsatzgruppe wusste, was jetzt zu tun war. Er gab seinen Kollegen ein Zeichen, die sich daraufhin ihre Schutzbrillen überzogen. Dann bereitete er sich ein paar Sekunden lang mental auf das vor, was jetzt nicht schief gehen durfte. Jeder Handgriff musste sitzen. Tür aufreißen – Granate rein, zünden. Ein aufblitzender Lichtschein würde alle Personen im Raum kurzzeitig blenden und lähmendes Entsetzen verbreiten. Das war jener Moment, den die SEK-Spezialisten nutzten, um eine gefährliche Situation zu entschärfen. Allerdings galt es dann, im Bruchteil einer einzigen Sekunde die richtige Entscheidung zu treffen und innerhalb des Teams den Überblick zu bewahren.
    Doch sie waren so gut aufeinander eingespielt, dass sie keine Verständigung mehr brauchten.
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