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Schattennetz

Schattennetz

Titel: Schattennetz
Autoren: M Bomm
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Stumper nun die Bemerkung des Mannes auf. »Um ehrlich zu sein, ich möcht mich nicht einmischen. Im Übrigen bin ich gar nicht stimmberechtigt.«
    »Das weiß ich doch«, entgegnete der Mann, der seine Hände tief in den Taschen seiner hellen Hose vergraben hatte. Seine Stimme verriet Nervosität. »Es geht mir auch nur um, ja – um moralischen Beistand, wenn ich das so ausdrücken darf.«
    »Mensch, Konrad, es ist im Grunde genommen euer Problem – nicht meines. Ich möchte mich raushalten, verstehst du? Ich mach meine Arbeit so gut ich kann, aber was da so läuft, ist allein eure Angelegenheit.« In solchen Situationen wäre Stumper am liebsten aufgesprungen und hätte laut hinausgebrüllt, dass er keine Lust hatte, seine knapp bemessene Zeit mit provinziellen Problemen zu verplempern. Verdammt noch mal, sollten sie ihn doch in Ruhe lassen. Er spürte, wie er noch mehr schwitzte.
    Die Glocke im Turm über ihnen schlug an. 4-mal den Doppelklang. Die volle Stunde. Danach drei tiefe Schläge.
    Schon 3 Uhr, dachte Stumper. Er musste üben. Und er wollte sich die Zeit nicht stehlen lassen. Nicht mit Querelen, für die er nicht das geringste Verständnis hatte. »Pass auf«, holte er deshalb tief Luft, »ich schlag vor, ihr schafft das heut Abend ein für alle Mal aus der Welt. Und ich versprech dir, dass ich dem Herrn Pfarrer nahe lege, euch dabei zu helfen. Okay?« Stumper legte seine Hände auf die Tastatur und seine Augen suchten bereits die entsprechende Stelle auf dem Notenblatt.
    »Bitte, Tilmann«, Konrad war einen halben Schritt näher gekommen und hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. »Lass mich jetzt nicht im Stich.«
    Stumper zögerte. Etwas in Konrads Stimme hatte ihn stutzig gemacht. Es war ihm, als sei es ein verborgener Hilferuf gewesen. »Ihr solltet die Sache aber auch nicht dramatisieren«, sagte er, wie um sich selbst zu beruhigen. Noch bevor Konrad antworten konnte, begannen droben im Turm die Glocken zu läuten. Die beiden Männer lauschten einen Augenblick. Immer wenn die Klöppel gegen die schwingenden Glocken schlugen, erschütterten sie die gesamte Turmkonstruktion, was sich wie ein kurzes, dumpfes Dröhnen im Gebäude fortsetzte.
    Seit geraumer Zeit, das war dem Kirchenmusikdirektor während seiner Übungsstunden schmerzlich bewusst geworden, riss ihn das sogenannte Kreuzläuten um 15 Uhr immer aus der meditativen Konzentration. Ein Glockenexperte der Evangelischen Landeskirche hatte den Kirchengemeinderäten vorgeschlagen, das prächtige Geläut alltäglich zur Todesstunde Jesu erklingen zu lassen. Das Gremium war damals von dieser Idee mehrheitlich angetan gewesen. Stumper hatte zwar kein Stimmrecht, doch sahen es Stadtpfarrer und Dekanin gerne, wenn er trotzdem an den Sitzungen teilnahm.
    Konrad Faller, Inhaber einer kleinen Metallfabrik, galt als großzügiger Spender, wenn Geld für die Sanierung kirchlicher Einrichtungen gebraucht wurde, denen ansonsten die Schließung gedroht hätte.
    »Wir sollten uns allein an der Sache orientieren«, meinte Stumper jetzt eine Spur lauter.
    »Ich weiß. ›Liebet eure Nächsten‹, hat Jesus gesagt, oder so ähnlich. Und ausgerechnet wir tun uns damit schwer.«
    »Ich nicht«, stellte Stumper selbstbewusst fest.
    »Vergiss nicht, dass wir beide das vielleicht gar nicht verstehen können. Das sind Dinge, die entziehen sich unserer Vorstellungskraft.« Das Geläut verstummte.
    Der Organist drückte auf eine Taste, was einer Orgelpfeife einen tiefen Ton entlockte. Er wollte nicht mehr länger diskutieren.
    »So etwas kann eskalieren«, warf Faller ein und beugte sich – mit den Händen am Orgelpodest abgestützt – zu Stumper herab. Der wehrte ab: »Nun übertreib mal nicht. Wir habens schließlich mit ganz normalen zivilisierten Mitteleuropäern zu tun, wenn ich das richtig sehe.«
    Ihre Konversation wurde durch Schritte auf der ächzenden Holztreppe unterbrochen, die aus dem Kirchenraum heraufführte. Die beiden Männer drehten sich um: die Mesnerin. Zwar hob sie sich im matten Gegenlicht eines Fensters nur schemenhaft ab, doch reichten allein die leicht gebückte Haltung und der schlurfende Gang aus, sie zweifelsfrei zu erkennen.
    »Entschuldigen Sie«, – ihre Stimme klang schwach und verschüchtert – »aber ich bin jetzt fertig.« Sie blieb nach der obersten Stufe ehrfurchtsvoll stehen. »Würde einer von Ihnen nachher abschließen?«
    »Klar doch, Frau Gunzenhauser«, antwortete Faller spontan, »Sie können beruhigt
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