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Schattenkuss

Schattenkuss

Titel: Schattenkuss
Autoren: Inge Loehnig
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für einen älteren Mann. Das Grübchen hat Florian von ihm, dachte Lena, während sie die Servietten neben die Teller legte und sich dann zu ihrer Mutter gesellte. Florian war gerade dabei, zwei Birnen von dem Baum zu pflücken, der gleich hinterm Zaun stand. Eine davon reichte er nun hinüber. »Magst du auch eine?« Lena nickte. Als sie die Birne entgegennahm, berührten sich ihre Hände für einen Moment. Ein knisterndes Kribbeln durchlief Lena. Irritiert biss sie in die Frucht. Sie war saftig und süß.
    Während sie aß, bemerkte sie, wie Florians Vater sie musterte. Sie sah auf und fing einen nachdenklichen Blick auf. Dann lächelte er. »Du bist also Lena. Erst dachte ich …« Er unterbrach sich. »Ich hätte dich beinahe nicht wiedererkannt.« Seine Stimme war weich und ein wenig rau. Durch das dunkle Haar zogen sich einige graue Strähnen. Seine Augen wirkten warm und freundlich und doch spürte Lena dahinter eine unbestimmte Traurigkeit. Oder bildete sie sich das nur ein? Vermutlich. Jetzt fiel es ihr auf. Er hatte Ähnlichkeit mit Colonel Brandon aus dem Film Sinn und Sinnlichkeit. Zusammen mit Maike hatte Lena den Film bestimmt dreimal gesehen. Ein echter Schmachtfetzen. Unwillkürlich musste Lena lächeln. Florians Vater erwiderte dieses Lächeln. Und plötzlich strahlten seine Augen, die gerade noch so traurig ausgesehen hatten. Dann wandte er sich wieder Steffi zu, die ihn irgendwas gefragt hatte.
    Ist es eigentlich normal, dass ich heute alle Leute mit Filmfiguren vergleiche?, wunderte Lena sich über sich selbst.
    Geschrei riss sie aus ihren Gedanken. Es schallte durch den Garten. Eine alte Frau kam über den Rasen gelaufen. Erstaunlich schnell. Sie war groß und hager, das weiße Haar gelbstichig. »Sie ist ein Luder! Ein Miststück! Ein Biest!« Schimpfend eilte sie auf Florians Vater zu, verfolgt von einer pummeligen etwa Vierzigjährigen in knapper Jeans und Wallebluse. Florians Mutter, vermutete Lena.
    »Sie lässt mich nicht fahren! Josef, hörst du.« Die alte Frau hielt eine Handtasche umklammert und trug einen hellen Sommermantel, unter dem ein Nachthemd hervorblitzte. Die nackten Füße steckten in hellblauen Badeschlappen.
    »Wohin willst du denn fahren, Omi?« Florians Vater legte fürsorglich einen Arm um die Schultern der alten Frau.
    »Wohin ich fahren will?« Ihr Mund blieb offen stehen, ratlos sah sie in die Runde. »Will ich verreisen?«
    Etwas atemlos erreichte Florians Mutter die Gruppe. »Nach Konstantinopel. Wieder einmal. Ach, Benno!« Mit einer müden Geste strich sie sich die Haare aus der Stirn. »Ich dachte, sie macht Mittagsschlaf, bis mich die Anna von der Post angerufen hat. Omi wollte eine Fahrkarte für den Orientexpress kaufen.«
    Florian beugte sich zu Lena hinüber, die die Szene verwundert verfolgte. »Josef war Omis Mann, mein Uropa«, erklärte er leise. »Die beiden haben immer davon geträumt, einmal in ihrem Leben mit dem Orientexpress zu fahren, nur gemacht haben sie das nie.«
    Daraus wird vermutlich auch nichts mehr , dachte Lena. Florians Omi litt anscheinend an Alzheimer. Omi und Oma. Lena rechnete nach. Florians Uroma, seine Oma, also die Mutter seines Vaters, dann Florians Eltern und er. Vier Generationen unter einem Dach. Einfach war das sicher nicht.
    »Hallo Petra«, sagte Steffi an Florians Mutter gewandt. »Schön, dich wiederzusehen.« Im folgenden Gespräch wurde Lenas Vermutung bestätigt. Petra kümmerte sich um den Haushalt, betreute die Uroma und erledigte halbtags in der Schreinerei die Büroarbeit. »Eigentlich bräuchte mein Tag ein paar Stunden mehr«, meinte sie und versuchte, dabei zu lächeln, als habe sie einen Scherz gemacht. Aber das Lächeln verrutschte.
    Tante Marie rief zum Kaffeetrinken. Tom erschien mit Lukas auf der Terrasse. Die Leitners verabschiedeten sich. »Ihr bleibt doch sicher länger?«, fragte Florian.
    Lena nickte.
    »Hast du Lust, mal an den See mitzukommen?«
    »Klar. Warum nicht?« Er starrte zwar ständig auf die Narbe, aber trotzdem: Robert Pattinsons Double hatte sie gerade zum Baden eingeladen. Wahnsinn!
    »Okay. Super.« Er wandte sich ab und folgte seinen Eltern und der Uroma zum Haus.
    Steffi setzte sich. »Petra tut mir leid. Früher war sie so hübsch und nun sieht sie völlig abgearbeitet aus. Haushalt, Büroarbeit und dann noch die Uroma, die man anscheinend nicht alleine lassen kann. Mit ihr möchte ich nicht tauschen.«
    »Wer mag Kaffee?« Tante Marie füllte die Tassen und teilte
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