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Schattenkuss

Schattenkuss

Titel: Schattenkuss
Autoren: Inge Loehnig
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genau wie bei Omas Beisetzung. Diesmal allerdings tummelten sich Reporter und Fernsehteams auf dem Friedhof und verfolgten, wie der Sarg mit Ulrikes sterblichen Überresten im Familiengrab beigesetzt wurde. Tom hielt Steffis Hand, wie so häufig in den letzten Tagen. Zumindest etwas, das positiv ist, dachte Lena. Sie werden sich wohl nicht trennen. In all dem Unglück, das geschehen war, steckte auch ein Fünkchen Hoffnung.
    Wieder nahmen sie Beileidsbekundungen entgegen, schüttelten unzählige Hände, hörten mitfühlende Worte, aber auch solche, aus denen Neugier und Sensationslust herausklangen.
    Auf dem Weg zum Leichenschmaus beim Alten Wirt trat Sternberg an Steffis Seite und bat sie um ein Gespräch. Er wirkte angegriffen. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, die Wangen waren unrasiert, die Frisur nicht ganz so perfekt wie sonst. War er vielleicht wirklich in Steffi verliebt? Lena konnte es kaum glauben. Doch es sah ganz so aus. Steffi sah allerdings keinen Grund für ein Gespräch und schickte ihn weg.

39
    Am Abend, bevor sie zurück nach Stuttgart fuhren, saß Lena in ihrem Zimmer auf dem Prinzessinnenbett. Der Hals tat kaum noch weh, der Bluterguss, der sich wie ein Band um ihn zog, hatte sich gelbgrün verfärbt und würde in einigen Tagen ganz verschwunden sein. Auf dem Display des Camcorders betrachtete sie das gefilmte Material. Es war unvollständig. Trotzdem würde sie versuchen, daraus einen Film zu machen. Sie betrachtete einzelne Szenen und spürte dabei einer vagen Idee nach: Das Filmen war mehr als ein Hobby, das war ihr in den vergangenen Tagen immer klarer geworden. Nach dem Abi in zwei Jahren könnte sie vielleicht auf eine Filmhochschule gehen und so aus dem Hobby einen Beruf machen. Der Gedanke gefiel ihr.
    Von oben hörte sie Steffi rumoren, die packte. Morgen um diese Zeit würden sie daheim in Stuttgart sein. Und Lukas wiedersehen, den der Vater einer seiner Freunde aus dem Zeltlager mitbrachte. Gut, dass er das alles nicht mitbekommen hatte.
    Ein Blick auf die Uhr zeigte Lena, dass sie sich beeilen musste. In zehn Minuten war sie mit Daniel, Rebecca und Florian am Steg verabredet.
    Sie sagte Tom Bescheid, dann fuhr sie los.
    Als sie mit Omas Rad am See ankam, saß Daniel allein auf dem Steg. Die Sonne stand schon tief über dem Wald. Nur wenige Menschen waren noch im Wasser.
    Daniel drehte sich um, als sie über die Planken auf ihn zuging, und lächelte sie an. »Wie geht’s?«
    Lena setzte sich neben ihn, zog die Sandalen aus und ließ wie er die Füße ins Wasser baumeln. »Geht so.« Sie wollte nicht darüber reden. Mit niemandem. Sie schwiegen eine Weile. Von weiter vorne drang das Kreischen zweier Kinder herüber, die sich mit Wasser bespritzten. Hinter ihnen lief eine Frau mit ihrem Hund vorbei.
    »Irgendwie habe ich das Gefühl, als hätte etwas in mir eine Tür zugemacht«, sagte sie irgendwann. Dieses ganze Gefühlschaos, das in ihr getobt hatte, schien so erst einmal verstaut. Sie konnte es im Moment nicht sortieren. Sie brauchte Zeit und Abstand, um damit klarzukommen.
    Er blickte über den See. »Meine Mutter ist Psychotherapeutin. Hab ich dir das schon mal gesagt?« Fragend drehte er sich ihr zu.
    »Nein.« Lena grinste. »Vermutlich würde sie mir jetzt dringend raten, die Tür wieder aufzumachen.«
    Daniel nickte. »Besser früher als später.« Nachdenklich blickte er ins Wasser und wackelte mit den Zehen. Kleine Wellenkreise bildeten sich. »Was macht dein Film?«
    »Puh. Das wird schwierig. Ich hätte konsequenter filmen sollen. Es fehlen ein paar Sequenzen.«
    »Die Lücken könntest du füllen, indem du erzählst, was fehlt und warum, und dich dabei selbst filmst«, schlug Daniel vor.
    »Hm. Weiß nicht.« Lena ließ sich rücklings auf die Planken fallen, sah in den Abendhimmel und dachte über seine Worte nach. »Vielleicht hast du recht. Das könnte klappen. Das würde die Doku zusammenhalten.« Sie setzte sich wieder auf. »Das ist eigentlich sogar eine ziemlich geniale Idee von dir. Wo bleiben denn Rebecca und Florian?«
    »Sie kommen nicht.«
    »Aha.« Lena sah ihn von der Seite an. Daniel war mehr als ein guter Freund. Sie mochte ihn. Sehr. Es flatterten allerdings keine Schmetterlinge in ihrem Bauch. Es war eher ein Gefühl wie … ja, wie? Vielleicht wie eine tiefe Vertrautheit?
    Daniel sah ihr in die Augen. Er beobachtete sie, las in ihrem Gesicht. Beide mussten sie lächeln. Dann küssten sie sich. Ein kurzer, beinahe scheuer Kuss. Es fühlte sich gut
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