Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenkuss

Schattenkuss

Titel: Schattenkuss
Autoren: Inge Loehnig
Vom Netzwerk:
die Haare. »Ich will nicht, dass Steffi das sieht. Ich muss sie irgendwie von hier weglotsen.«
    Der Birnbaum. So nah am Zaun. All die Jahre war Ulrike nur wenige Meter entfernt gewesen. Und dann fiel Lena der Korb mit den Birnen ein, den Babette Leitner ihr gegeben hatte. Deiner Oma habe ich jedes Jahr einen Korb voll abgegeben. Eigene Ernte.
    Wie konnte man nur so bösartig sein? Unter diesem Birnbaum war Ulrikes Leiche langsam verwest, zu Erde geworden, war in dem Baum aufgegangen, hatte mit ihm geblüht und die Früchte hervorgebracht, die Bennos Mutter dann Oma geschenkt hatte. Während diese verzweifelt darauf wartete, dass ihr Kind nach Hause kam.
    Die Polizei hatte Benno und seine Mutter mitgenommen.
    Wie Florian wohl diese Nacht verbracht hatte?
    Durch die Terrassentür sah Lena in den Garten der Leitners, zum Birnbaum. Sie musste das zu Ende bringen. »Fahr mit Steffi nach Bad Tölz oder macht eine Wanderung entlang der Isar«, sagte sie zu Tom. »Ich bleibe hier. Ich muss meinen Film fertig machen.«
    Lena rechnete schon mit Widerspruch, doch Tom widersprach nicht. Offenbar war ihm klar, dass er sie nicht würde umstimmen können. Bevor die Fahrzeuge der Polizei eintrafen, fuhr er mit Steffi weg. Lena erklärte dem Kommissar ihr Projekt. Auch er widersetzte sich ihrem Wunsch nicht, nahm ihr lediglich die Zusage ab, die Bilder nicht der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Als hätte sie das jemals vorgehabt!
    Von Florian und Petra war nichts zu sehen, als die Polizei mit ihrer Arbeit begann. Sie sperrten das Gelände für die Schaulustigen ab, die sich bereits am Hoftor versammelt hatten. Ein halbes Dutzend Fahrzeuge von Polizei und Spurensicherung parkte vor dem Haus. Drei Männer in Zivil entfernten die Äste des Baums, bis nur noch der kahle Stamm stand. Dann legten sie ein Seil darum, dessen anderes Ende an einen Traktor gehängt wurde, den ein Bauer aus dem Dorf zur Verfügung gestellt hatte. Lena schob den Camcorder zwischen sich und die Wirklichkeit, als sich das Seil zu spannen begann, der Traktor knatternd Dieselabgase ausstieß, die Erde sich langsam aufwarf, Wurzeln bebend hervorbrachen. Der Stamm neigte sich. Weitere Wurzeln wurden sichtbar und dann etwas Helles. Ein Knochen. Lenas Knie wollten nachgeben. Sie konnte das nicht, ließ den Camcorder sinken. Plötzlich stand Tante Marie neben ihr. »Tu dir das nicht an«, sagte sie, umfasste Lenas Schultern und drehte sie sanft weg. »Wir gehen jetzt zu mir.«

38
    In den nächsten Tagen war Tante Marie so gut wie immer im Haus und unterstützte Steffi und Tom bei den Vorbereitungen für Ulrikes Beisetzung.
    Benno und seine Mutter waren mittlerweile von Bad Tölz nach München verlegt worden, sie saßen im Gefängnis Stadelheim in U-Haft. Da Benno geständig war, würde es schnell zu einem Prozess und einem Urteil kommen, hatte der Kommissar gesagt. Lena hatte die Worte ohne jede Empfindung aufgenommen.
    Petra Leitner wurde von den meisten im Dorf gemieden, als sei sie mitschuldig an der Tat ihres Mannes. Sie wollte weg aus Altenbrunn und suchte für die Uroma einen Platz im Altenheim. Das hatte sie Tante Marie erzählt.
    Am Tag vor der Beisetzung traf Lena sich mit Daniel und Rebecca am See und auch Florian kam. Er schien festeren Boden unter den Füßen zu haben und auch etwas vom Zorn und der Wut auf seinen Vater und seine Oma war verraucht. Anscheinend gehörte er zu denjenigen, die sich nicht so leicht unterkriegen ließen, denn er schmiedete Zukunftspläne. Gemeinsam mit seiner Mutter würde er nach München ziehen und dort sein Abi machen und anschließend Maschinenbau studieren. So, wie er das schon immer gewollt hatte. »Die Schreinerei kann mir gestohlen bleiben. Oma muss sich jemand anderen suchen, der nach ihrer Pfeife tanzt, wenn sie aus dem Knast kommt.«
    Und das würde Jahre dauern. Denn zu der Strafe für den Mordversuch an Florian würde erschwerend der Versuch hinzukommen, die Tat ihres Sohnes zu vertuschen. Lena wünschte sich, dass sowohl Babette als auch Benno Leitner nie mehr freikommen würden.
    »Bleiben wir in Kontakt?«, fragte Florian unsicher in die Runde. Alle nickten, als wäre das jemals eine Frage gewesen. Ein Thema wurde an diesem Tag ausgeklammert: Lenas Beziehung zu Benno. Sie schien tabu zu sein und Lena war erleichert darüber.
    Am Tag der Beerdigung strahlte die Sonne an einem blauen Himmel. Der Trauergottesdienst fand in der Dorfkirche statt. Wieder gab es Gebete und Gesang und zum Schluss ein Ave Maria,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher