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Schattenkuss

Schattenkuss

Titel: Schattenkuss
Autoren: Inge Loehnig
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das T-Shirt vor den Mund, atmete durch den Stoff. Der Qualm nahm ihm die Sicht. Tastend suchte er, bis seine Finger auf Metall stießen. Gott sei Dank. Das Reisig brannte inzwischen lichterloh. Seine Hand umschloss den Stiel der Axt. Er zog sie hervor, rannte zur Tür. Jeder Atemzug brannte, die Augen tränten. Ein Schlag aufs Schloss, die Tür gab nach. Noch ein Schlag und sie sprang auf. Florian stolperte ins Freie.
    Wo war Oma?
    Lauerte sie mit dem Gewehr im Anschlag auf ihn? Hus­tend erbrach Florian die Lasagne auf den Rasen und atmete durch.
    Wo war Oma?
    Weit und breit nichts von ihr zu sehen. Mit zitternden Fingern zog er das Handy hervor. Er musste die Feuerwehr rufen. Das Display zeigte an, dass die Verbindung zum Handy seines Vaters noch stand.
    Im Nachbarhaus ging die Terrassentür auf. Lenas Vater kam herausgelaufen. »Alles in Ordnung mit dir?«, rief er atemlos. »Ich hab die Feuerwehr schon alarmiert. Wie ist das denn passiert?«
    Florian holte tief Luft, dann hechtete er über den Zaun. »Meine Oma dreht durch. Sie hat den Schuppen angezündet. Sie will mich umbringen«, gehetzt blickte er sich um.
    »Was?«
    »Sie hat wahrscheinlich auch Ulrike umgebracht.« Aus den Augenwinkeln nahm Florian eine Bewegung auf dem Nachbargrundstück wahr. Ohne auf Tom zu warten, rannte er los, durch die offene Terrassentür, in die Küche der Familie Michaelis.
    »Was hat sie?«, Tom war ihm gefolgt. Im selben Moment traten Lenas Mutter und Daniel in den Raum. »Daniel will Lena besuchen, aber sie ist nicht in ihrem Zimmer. Weißt du, wo sie …?« Mit offenem Mund starrte Steffi durch die Tür auf den brennenden Schuppen der Leitners. »Mein Gott!«
    »Sie ist bei meinem Vater im Auto.« Ein Hustenanfall schüttelte Florian. Er hob das Handy hoch. »Irgendwas …«
    »Das ist ja unglaublich. Ich habe ihr den Umgang mit ihm verboten und sie …« Tom schlug mit der Hand auf den Küchentisch, dass die Gläser klirrten.
    »Irgendwas stimmt da nicht«, keuchte Florian, als er wieder Luft bekam, und hob das Handy ans Ohr. Die Verbindung stand noch. »Ich lass … nicht gehen. Nie. Nie. Nie.« Die Stimme seines Vaters klang laut und unbeherrscht. Kalter Schweiß trat auf Florians Stirn, als er begriff, was dort gerade geschah. »Er bedroht sie«, stammelte er.
    Tom riss ihm das Handy aus der Hand und presste es ans Ohr. »Lass meine Tochter in Ruhe, du Schwein!«
    »Was ist denn los? Tom?« Lenas Mutter sah aus, als würde sie jeden Augenblick umkippen.
    »Er kann sie nicht hören. Wahrscheinlich ist ihm das Handy heruntergefallen«, erklärte Florian.
    Mit beiden Händen fuhr Lenas Vater sich durch die Haare, dann packte er Florian an den Schultern. »Hast du eine Idee, wo die beiden sind?«
    Florian schüttelte den Kopf.
    »Aber ich«, sagte Daniel.

Sonntag, 17. Juni 1990
    Als Letztes stopfte sie Tagebuch, Geldbörse, Perso und das Sparbuch in den prall gefüllten Rucksack. Dann schlüpfte sie in die Lederjacke, schulterte den Rucksack und schlich hinunter. Vor der Küchentür zögerte sie kurz, ging dann aber doch hinein und nahm aus dem Steinguttopf mit dem Holzdeckel, in dem früher Essiggurken eingelegt worden waren, Mamas Notgroschen. Hundertzwanzig Mark. Ihr schlechtes Gewissen beruhigte sie damit, dass ihre Eltern künftig eine Menge Geld durch ihre Abwesenheit sparen würden.
    Lautlos sperrte sie die Haustür auf und zog sie ebenso leise hinter sich wieder zu. Die Nacht war warm und sternenklar. Über dem Dachfirst der Leitners stand der Große Wagen. Der volle Mond hing tief am Himmel, tauchte das Dorf in silbriges Licht und ließ Bäume und Häuser bizarre Schatten werfen. Die Kirchturmuhr schlug halb zwei.
    Ihre Schritte hallten in den verlassenen Straßen nach. Der erste Bus fuhr um fünf. Zu riskant, so lange zu warten. Sie würde jetzt einfach zu Fuß Richtung Bad Tölz gehen. Vielleicht hatte sie Glück und ein Nachtschwärmer las sie auf und nahm sie mit. Wenn nicht, würde sie etwa drei Stunden brauchen. Egal. Hauptsache sie kam fort aus diesem Kaff, weg von dieser Familie. Von dieser hinterhältigen Steffi, die sich ­Mike gekrallt hatte. ­Mike! Was fand er nur an ihr?
    Was Oli gesagt hatte, das mit der Wette, das stimmte nicht. Es konnte einfach nicht wahr sein. Es würde zu wehtun. War mehr, als sie ertragen konnte. Wegen einer Wette. Um vor seinen Kumpels gut dazustehen. Um Sieger zu sein. Er hat doch gesagt, dass er mich liebt. You are the one and only . Quatsch. Eine von vielen war sie gewesen
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