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Schattenkuss

Schattenkuss

Titel: Schattenkuss
Autoren: Inge Loehnig
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zur Seite. Als Florian Lena die Hand gab, war da wieder dieses Kribbeln. Auch er spürte es, Lena sah es in seinen Augen und ihre Knie fühlten sich plötzlich merkwürdig nachgiebig an. Florian ging weiter, machte für den nächsten Platz, der Lena sein Beileid aussprechen wollte. Vor ihr stand ein Mann in Toms Alter. Er sah aus, als sei er direkt diesem Männer-Hochglanzmagazin, GQ, entstiegen. Zu schön für die Wirklichkeit. Dunkles Haar, markantes Kinn, eins neunzig groß. Mindestens. Muskeln zeichneten sich unter dem Designer-Anzug ab. Ein herber Duft nach Aftershave, glatte Wangen, ein wenig Gel im Haar. Augen kühl und blau, wie Eiskristalle. »Du bist also Lena.« Er drückte ihr die Hand und musterte sie einen Augenblick irritiert. »Mein Beileid. Deine Oma war eine sehr nette Frau.« Es klang wie eine tausendmal gesagte Floskel. Aalglatter Schleimer , dachte Lena und wischte sich die Hand am Rock ab, als er weitergegangen war.
    Im Gasthaus Zum Alten Wirt hatte Steffi Tische für den Leichenschmaus für dreißig Personen bestellt. Oma war allem Anschein nach sehr beliebt gewesen. Plätze wurden gesucht, Stühle gerückt. Die Familie Michaelis nahm an der Mitte der langen Tafel Platz. Als Lena sich setzte, bemerkte sie, dass der Schönling von vorhin ihr gegenüber Platz nahm. Offenbar war er alleine. Keine Frau an seiner Seite. Wieder musterte er Lena, wandte dann seinen Blick Steffi zu und lächelte kaum merklich. Und Steffi lächelte zurück. Hallo! Was war das? Hatte sie das gerade richtig gesehen? Lena warf Tom einen Blick zu und sah, dass auch er die seltsame Szene beobachtet hatte. Sie beugte sich zu ihm. »Wer ist das?«
    Tom runzelte die Stirn. »Claus Michael Sternberg. Er ist Omas Anwalt und ihr Testamentsvollstrecker.«
    Aha. Lena wusste, das Steffi den Anwalt in den letzten Tagen mehrfach getroffen hatte. Der Typ gefiel ihr ganz und gar nicht.
    Sie versuchte, dem Gespräch zwischen Steffi und diesem Sternberg zu folgen, so gut das bei dem Geräuschpegel aus Gesprächen und Geschirrgeklapper ging. Während sie die Gemüsecremesuppe aß, die serviert worden war, schnappte sie nur Belanglosigkeiten auf. Es ging um einen Erbschein, um Steuern und Bankvollmachten. Bemerkenswert und beunruhigend war allerdings, dass Steffi und der Anwalt sich ganz selbstverständlich duzten. Natürlich kam das Gespräch bald auf Ulrike. »Hat sie sich nicht gemeldet?«, fragte Sternberg.
    Steffi schüttelte den Kopf. »Obwohl ich ein Vermögen für Anzeigen in der Süddeutschen Zeitung und sogar in El Mundo ausgegeben habe.«
    Mit der Serviette tupfte der Anwalt einen nicht vorhandenen Suppenrest von den Lippen. »Und deine Mutter hatte wirklich keine Adresse oder Telefonnummer von ihr? Hast du überall nachgesehen?«
    »Natürlich habe ich das. Sonst hätte ich mir den Aufwand mit den Anzeigen schließlich gespart.« Zu Lenas Erstaunen war Steffis Stimme eine Etage tiefer gerutscht, verlieh diesen Worten einen weichen Klang, nahm ihnen die Schärfe, die normalerweise einen derartigen Satz von ihr würzte. In Lena schrillten alle Alarmglocken gleichzeitig. Steffi schmiss sich an diesen aalglatten Kerl ran. Und Tom schien nichts davon zu bemerken. Er unterhielt sich mit Tante Marie.
    »Wir müssen Ulrike finden. Sie erbt die Hälfte von allem. Ich kann die Erbschaft ohne sie nicht abwickeln, es sei denn …« Sternberg ließ den Satz unvollendet und blickte Steffi abwartend an.
    »Es sei denn … was?« Steffi hielt den Kopf leicht geneigt.
    Sternberg beugte sich ein wenig vor. Seine Krawatte berührte beinahe die Suppentasse. »Sie ist jetzt seit zwanzig Jahren weg … Wer weiß, was aus ihr geworden ist. Vielleicht lebt sie nicht mehr … Man könnte sie für tot erklären lassen.«
    »Das meinst du nicht ernst!« Alle Weichheit verschwand aus Steffis Stimme, machte dem bekannten schrillen Unterton Platz. Ihre Schultern strafften sich, energisch hob sie das Kinn. »Ulrike lebt irgendwo in Spanien und offensichtlich macht es ihr Spaß, uns im Ungewissen zu lassen, oder wir sind ihr einfach derart gleichgültig, dass sie es nicht einmal für nötig hält, ein Lebenszeichen von sich zu geben. Das ist typisch für sie. Und wenn ich sie auch zwanzig Jahre nicht gesehen habe, ist sie doch meine Schwester und ich werde sie nicht um ihr Erbe bringen.«
    »Gut. Ich habe verstanden. Es war doch nur ein Vorschlag.« Beschwichtigend hob Sternberg die Hände und wandte sich dann dem Rinderbraten zu, den die Kellnerin vor ihm
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