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Schattenkuss

Schattenkuss

Titel: Schattenkuss
Autoren: Inge Loehnig
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Lippen, die ihre berührten … Und nun tat er, als sei nichts gewesen. Seine Hand, die sich unter ihrer Bluse vortastete und die sie erschauern ließ. Schon vergessen! Heute war sie niemand. Sie! Ausgerechnet sie.
    Sie kämpfte die Tränen nieder, die in ihr aufstiegen und von denen sie nicht wusste, ob Wut ihre Quelle war oder Trauer und Verzweiflung. Nothing can stop these lonely tears from falling, tell me baby where did I go wrong, I could put my arms around every boy I see, but they’d only remind me of you.
    Crossi tanzte inzwischen keine zwei Zentimeter von ihr entfernt. Anscheinend hatte er ihre Nicht-Reaktion auf seine Anwesenheit falsch verstanden. Eins musste man ihm lassen: Er tanzte fantastisch. Nicht hölzern wie fast alle Jungs, sondern ausdrucksstark, ohne sich dabei lächerlich zu machen. Kleine exakte Bewegungen, präzise Schritte, ein perfekter Rhythmus und all das … Ulrike wusste nicht, wie sie es beschreiben sollte. Vielleicht mit dem Wort unterdrückt . Als beherrsche Crossi sich, als sei er ein Vulkan, der jeden Augenblick ausbrechen konnte. Und dann würde er tanzen, dass die Funken flogen, die Mädchen den Atem anhielten und die Jungs blass vor Neid wurden. Ulrike schmunzelte. Dirty Dancing. Crossi als zweiter Patrick Swayze.
    Seine Hände legten sich auf ihre Hüften. Sie wollte protestieren, aber dann spürte sie, dass hier eine Chance lag. Die anderen guckten schon. Auch ­Mike. Sie überließ sich dem gemeinsamen Rhythmus, schmiegte sich an Crossi, fühlte seinen Körper an ihrem und schloss die Augen, damit sie sich nicht verriet. Sie war nicht niemand. Wieder erinnerte sie sich an die laue Nacht, an ­Mikes Lächeln, seine schönen Augen, seine Lippen auf ihren, so zart und forschend. Beinahe glaubte sie, seine Wange an ihrer zu spüren, und schrak hoch.
    Es war Crossis Wange.
    Warum auch nicht? Er wusste, dass sie ­Mike liebte. Er konnte sich keine Hoffnungen machen. Und wenn, war er selbst schuld. Weshalb tanzte er mit ihr? Um ihr zu helfen? Um ­Mike eifersüchtig zu machen? Eine seiner Hände wanderte hoch zu ihrer Taille, legte sich auf ihre Haut, dort wo sie zwischen Jeans und Top hervorblitzte. Mit einem sanften Ruck zog er sie noch näher an sich heran. Erstaunlich, dass das ging. Selbstbewusst suchten seine Lippen ihre, fanden sie. Wie von allein öffneten sie sich. Sie ließ sich von Crossi küssen. Ein Schwarm Hummeln setzte sich in Bauch und Kopf gleichzeitig. Der Boden schien unter ihren Füßen nachgeben zu wollen. Crossi küsste ebenso fantastisch, wie er tanzte. Sie wusste nicht, wie lange sie sich küssten. Plötzlich war der Song zu Ende, der Bann gebrochen. Crossi gab sie frei und verwirrt sahen sie sich einen Augenblick an, als könnten sie beide nicht glauben, was soeben geschehen war.
    Ulrike atmete durch und bemerkte, dass alle im Raum sie anstarrten. Alle. Auch ­Mike. Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, das sie erwiderte. Sie verließ die Tanzfläche. Gefolgt von Crossi, der plötzlich nach ihrer Hand griff und sie so stoppte. »Ich liebe dich«, sagte er. »Schon immer.«
    Was hatte er gesagt?
    »Willst du mit mir gehen?«
    Gott, war das peinlich! Jetzt wäre sie gerne unsichtbar gewesen. ­Mike beobachtete sie. Und nicht er allein. Eine kleine Gruppe Neugieriger hatte sich am Rand der Tanzfläche gebildet. Sie hatten Crossis Frage gehört und warteten gespannt auf ihre Antwort. Ulrike fing Claras Blick auf, den Blick ihrer immer besorgten Freundin.
    »Willst du mit mir gehen?« Crossi wiederholte seine Frage und ein wenig bewunderte Ulrike ihn für seinen Mut, sich in aller Öffentlichkeit lächerlich zu machen. Und ein wenig ärgerte sie sich über ihn, dafür, dass er so gut tanzte, so gut küsste und sie verunsicherte. Sie wollte sich aber nicht verunsichern lassen. Sie liebte ­Mike!
    »Crossi, sei mir nicht böse«, hörte sie sich sagen. »Aber hast du schon mal in den Spiegel geguckt?«
    Sie sah, wie er schluckte, dann den Kopf hob und lächelte. »Die Schöne und das Biest, Esmeralda und Quasimodo … In der Literatur und im Film klappt das doch wunderbar. Warum nicht auch mit uns? Ich übernehme die Rolle des Schönen und du die des Biests.«
    Einen Moment lang war es still. Dann brachen alle in Gelächter aus.
    Ein Punkt für dich, Quasimodo, dachte Ulrike.

4
    Das Essen beim Alten Wirt zog sich hin, mündete in ein Kaffeetrinken, das Lena zu viel wurde. Am liebsten wäre sie heimlich davongeschlichen. Ging natürlich nicht. So schlenderte
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