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Überfall nach Ladenschluß

Überfall nach Ladenschluß

Titel: Überfall nach Ladenschluß
Autoren: Stefan Wolf
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1. Rettung in letzter Sekunde
     
    Die S-Bahn
sauste wie der Fliegende Holländer.
    Niemand
hat’s eilig, dachte Locke. Aber der Zugführer will sicherlich Rennfahrer
werden. Jetzt ist er hier gelandet und tobt sich aus auf den Schienen.
    „Denkst du
an was Komisches?“ fragte Tom.
    Er saß ihr
gegenüber. Nicki, der tigerfellige Prachtkerl, hatte seinen Schädel auf Toms
Jeans-Knie gelegt und döste. Ihn interessierte es nicht, daß die S-Bahn durch
die Landschaft zischte, momentan durch Laubwald, so daß die schienennahen
Buchenblätter wie Tattergreise zitterten — nein, schlimmer.
    „Woher
weißt du, was ich denke?“ fragte Locke und schob ihren ährenfarbenen Strohhut
zurecht. Er war riesengroß. Eigentlich hätte sie zwei Fahrkarten lösen müssen.
Und im Gedränge hätte es vielleicht Probleme gegeben. Aber hier drängte
niemand. Das Abteil war leer — sie hätten Federball spielen können.
    „Du hast
gelächelt, in Gedanken gelächelt — als machst du dich über mich lustig.“ Tom
grinste.
    „Erstens,
Engelbert, beschäftigen sich meine Gedanken mit erhabenen Themen — und nicht
mit deiner Person. Hätte ich aber, zweitens, an dich gedacht, dann kummervoll.
Du kannst nicht jeden Freitag die letzte Stunde schwänzen.“
    „Arbeitszeit-Verkürzung
ist modern.“ Toms Grinsen verbreiterte sich zu den Ohren. Dann wurde ein
liebevolles Lächeln daraus, und sein Blick ruhte auf Locke wie auf einem
Kunstwerk. Himmel, wie hübsch sie war!
    Er versank
in den Anblick — sozusagen bis zur Nasenspitze.
    Aber nur
für Augenblicke. Denn der Zug verlangsamte sein Tempo. Ober-Plösel, die nächste
Station, war erreicht: eine stadtnahe Siedlung, hübsch und etwas größer als ein
Eierkuchen.
    Die drei
stiegen aus. Die Sommersonne stand hoch, und das hohe Blau hatte keinen weißen
Tupfer. Hoffentlich wurde das Wochenende so schön wie der Freitag. Locke hatte
einen Henkelkorb am Arm. Er enthielt verschließbare Plastikschüsseln.
    „Zehn nach
zwei“, sie wies auf die Normaluhr am Stationsgebäude, einem Klinkerstein-Schuppen
mit Toilettenanbau. „Kathie ist erst um fünf zu Hause. Wir haben also Zeit. Das
macht mindestens drei Kilo Blau-, Him- und Erdbeeren.“
    „Aber nur
wenn Nicki mitsucht.“
    „Ich bin
schon froh, wenn er nicht auf die Waldfrüchte pinkelt. Komm!“
    Sie stiefelten
los. Nicki ging bei Fuß an Toms grüner Seite. Lockes Fünf-Farben-Rock bauschte
sich im Sommerwind, und Ober-Plösel war wie ausgestorben.
    Die Häuser
waren schick und teuer. Jeder hielt großen Abstand zum Nachbarn, als könnte man
sich nicht riechen. Die Grundstücke versteckten sich hinter Hecken. In der
Stille hörte man das Summen der Bienen.
    Die Straße
machte Kurven. Ober-Plösel lag hinter ihnen. Sie waren erst Minuten getippelt.
Die Straße umrundete einen Ableger des Waldes: eine Versammlung von zwei
Dutzend Fichten, die sich zum Wald sehnten, ihn sehen —, aber nicht erreichen
konnten, denn verwurzelt waren sie hier. Die Straße führte weiter. Locke
blickte zurück. Von Ober-Plösel war nur noch ein Hinweisschild zu sehen.
    Rechts der
Straße, umgeben von Einsamkeit, stand ein kleines Haus im verwilderten Garten.
    „Dort wohnt
sie“, sagte Locke. Sie meinte Kathie, mit der sie sich kürzlich angefreundet
hatte, obwohl das Mädchen schon 18 war.
    Tom nickte.
Er kannte Kathie noch nicht, wußte nur, daß sie Waise war. Ihre Eltern hatte
sie vor langen Jahren verloren — bei einem Unfall. Sie war bei der — inzwischen
ebenfalls verstorbenen — Großmutter aufgewachsen und hatte deren Anwesen,
dieses Häuschen, geerbt. Hier wohnte sie jetzt, allein und gerade erst volljährig.
    Sie
blickten hinüber. Über dem Unkraut summten Bienen. In den Büschen hockten
mittagsträge Vögel, zum Singen zu faul — und den Bauch hatten sie sich schon
voll gepickt. Alle Fenster — auch im Obergeschoß — waren geschlossen. Neben dem
Eingang stand eine rote Gartenbank, von deren Füßen die Farbe abblätterte.
    „Wie
abgeschieden sie wohnt!“ sagte Tom. „Da ist es begreiflich, daß sie nicht als
Zeugin auftreten will. Wenn sie hier überfallen wird, merkt’s kein Aas.“
    Locke
nickte. „Bloß gut, daß sie mir vertraut. Sonst käme gar nichts ans Licht.
Hoffentlich hat sie Sahne im Haus.“
    „Was?
Sahne? Wozu Sahne? Ich denke, sie will uns was über die Mafia erzählen.“
    „Klar. Aber
dabei können wir ja die Waldbeeren essen, die wir vorher noch suchen. Mit Sahne
schmecken sie besser — noch
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