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Schattenkuss

Schattenkuss

Titel: Schattenkuss
Autoren: Inge Loehnig
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vermintes Terrain betreten hatte. Steffi drehte sich um. »Wer Ulrike ist? Das weißt du doch. Meine Schwester.«
    Bitte? Lena starrte ihre Mutter völlig überrascht an. Seit wann hatte sie eine Tante? Und warum reagierte Steffi so harsch auf eine harmlose Frage? »Also an Alzheimer leide ich noch nicht«, fuhr sie ihre Mutter an. »Du hast nie ein Wort über Ulrike verloren. Und ich wüsste auch nicht, dass Tante Ulrike mal zu Besuch bei uns war. Ich hab noch nie von ihr gehört! Und jetzt tust du so, als müsste ich natürlich von ihrer Existenz wissen. Wie ätzend ist das denn! Wahrscheinlich hast du dich mit ihr genauso zerkriegt wie mit Oma, stimmt’s?«
    Steffi massierte mit den Fingerspitzen die Nasenwurzel und schloss kurz die Augen. Erstaunlich, beinahe beunruhigend, dass es ihr die Sprache verschlagen hatte. Tom gab Lena erneut über den Rückspiegel zu verstehen, dass sie jetzt besser den Mund hielt. »Ulrike lebt in Spanien«, erklärte er. »Sie hat den Kontakt zur Familie abgebrochen.« Besorgt sah er zu Steffi. »Ich rechne nicht damit, dass sie zur Beerdigung kommt. Zu der eures Vaters ist sie ja auch nicht gekommen.« Er löste eine Hand vom Lenkrad, griff nach Steffis Hand und drückte sie kurz. »Du musst das realistisch sehen.« Dann suchte er wieder Lenas Blick. »Mama hat dir sehr wohl von Ulrike erzählt. Das ist allerdings Jahre her. Du warst noch ziemlich klein. Vermutlich hast du es vergessen.« Und damit schien das Thema für ihn beendet zu sein. Lukas war in seinem Kindersitz eingeschlafen. Lena schwieg. Sie dachte nach. Aber sosehr sie sich bemühte, sie konnte sich an keine Tante mit dem Namen Ulrike erinnern. Was war geschehen, dass sowohl Steffi als auch ihre Schwester den Kontakt zur Familie abgebrochen hatten?
    Die Fahrt ging weiter Richtung Süden. Das Wetter war schön. Die Alpen rückten näher und die Landschaft wurde mit jedem Kilometer hügeliger. Zwanzig Minuten später verließ Tom die Autobahn und fuhr über die Landstraße weiter, durch Dörfer mit Zwiebelturmkirchen und Bauernhäusern, deren Balkone unter der Last von Geranien und Petunien zusammenzubrechen drohten. Kurvenreich wand sich die Straße bergauf, bis das Ortsschild Altenbrunn erschien. Linker Hand, zwischen Wiesen und Feldern und von einem Waldstück flankiert, entdeckte Lena einen tiefblauen See, in dem sich die Berge spiegelten. Superkitschiges Bild, dachte sie, vorausgesetzt, man fotografiert das.
    Am Ortsrand erstreckte sich ein kleines Gewerbegebiet mit einem Autohaus, einem Baumarkt und der Schreinerei Leitner. Der Name kam Lena bekannt vor. Tom fuhr die Hauptstraße entlang, die von Geschäften gesäumt war, darunter einer Eisdiele, dem Café Il Cappuccino und dem obligatorischen Gasthaus Zum Alten Wirt . Hinter dem Marktplatz mit Maibaum bog Tom links in ein enges Sträßchen ab. Auf dem Garagenvorplatz eines alten Hauses mit Rauputz und dunkler Holzverschalung blieb er stehen. Winzige Fenster, grüne Läden. Staketenzaun und überquellende Blumen- und Gemüsebeete. Omas Haus.
    Während Tom die Koffer auslud, zog Steffi das Handy aus der Tasche und rief Tante Marie an, die kurz darauf mit einem Schlüsselbund in der Hand erschien.
    Sie sah noch fast genauso aus, wie Lena sie in Erinnerung hatte. Nur etwas kleiner und faltiger war sie geworden. Sie trug knallorange Pumphosen, ein pinkfarbenes ärmelloses Top und auf dem Kopf eine Stoffkappe in Blumentopfform. Grasgrün, mit meerblauen Ornamenten und kleinen funkelnden Spiegeln bestickt. Darunter lugten weiße Haare hervor, die asymmetrisch geschnitten waren. Ihr Gesicht war zerknittert, die Augen wirkten gerötet und verquollen. Dass Tante Marie und Oma Schwestern waren, erschien Lena unvorstellbar. Oma mit ihrer Dauerwelle, dem strengen Blick und den geblümten Kleidern, die sie bevorzugt trug … getragen hatte,korrigierte Lena ihre Gedanken und plötzlich fühlte sie sich schrecklich. Weshalb hatte sie keine verweinten Augen? Weshalb trauerte sie nicht um ihre Oma?
    Nachdem das allgemeine Umarmen überstanden war, gab Tante Marie Steffi die Schlüssel und alle gingen ins Haus. Lena bezog das Gästezimmer im Erdgeschoss, gleich neben der Küche. Lukas wurde das Zimmer oben neben dem Schlafzimmer zugeteilt, in dem Steffi und Tom übernachten würden.
    »Räumt eure Sachen ein. Ich koche inzwischen Kaffee.« Tante Marie fuhr sich mit einem Tempo über die Augen und verschwand in der Küche.
    Lena warf ihre Reisetasche aufs Bett und musterte das Zimmer,
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