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Schatteninsel

Schatteninsel

Titel: Schatteninsel
Autoren: Marko Hautala
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und suchte mit den Augen nach der Qualle, entdeckte sie aber nicht. Er blicktezum Ufer. Auch Jenni war nicht zu sehen. Alles war plötzlich unberechenbar, aus der Bahn geraten. Markus fühlte sich irgendwie schuldig daran, dass die Farbe des Himmels auf einmal kräftiger war, das Flimmern auf den Wellen gleißender. Du spinnst wohl .
    Er tauchte unter und versuchte die Qualle zu entdecken. Das Salzwasser brannte dermaßen in den Augen, dass er nicht lange Ausschau halten konnte. Als er auftauchte, hustete er und rieb sich die Augen. Sein Blickfeld war trübe geworden. Das Salzwasser füllte alle Vertiefungen mit seinem Geschmack, seinem Gestank und seinem Brennen. Markus rief um Hilfe, doch eine Welle füllte ihm den Mund. Sie war schwer und barsch, wie die Stimme seines Vaters: Hör auf zu plärren . Plötzlich wirkte der dunstige Strand mit seinen bunten Reklameschildern und Sonnenschirmen fremd. Dort hatte Markus nichts mehr zu suchen. Seinetwegen würde keiner seine jeweilige Beschäftigung unterbrechen. Die Erwachsenen würden sich nur um ihre eigenen Kinder kümmern, ihnen Befehle und Warnungen zurufen, während sie die Sonnencreme verrieben, würden sich anschließend die hochgerollten Badehosen über die Pobacken ziehen, mit Leidensmiene, obwohl sie aus eigenem Antrieb hier Urlaub machten. Markus wusste, dass er besonnen bleiben müsste, Plärren half ihm nicht.
    Da siehst du es , sagte die Stimme seines Vaters. Vom Plärren geht es nicht weg .
    Markus erinnerte sich an die Stimme des Vaters am Abend zuvor, an seinen nach Kokosschnaps riechenden Atem, an die Kleider der vor dem Hotel flanierenden Menschen, bunt wie Konfetti. Er erinnerte sich an das zerquetscht auf der Straße liegende Katzenjunge, an das Muttertier, das bei ihm wachte, alle vorbeifahrenden Autosund Mopeds anfauchte, immer wieder das Fell des Kätzchens leckte und nicht bereit war, die Hoffnung aufzugeben. Sieh es dir gut an, dann brauchst du später nicht wegen jeder toten Mieze zu plärren .
    Markus schwamm in gehetzten, fahrigen Zügen los. Obwohl die Wellen ans Ufer liefen, hatte er das Gefühl, überhaupt nicht vorwärtszukommen. Auf und ab in der Wellenschaukel, wie in einem Albtraum. Als seine Füße den Grund berührten, stolperte er voran und keuchte dabei so heftig, dass ihm die Lunge wehtat. Seine Ohren waren wie verstopft. Jennis Stimme klang, als dränge sie durch Wasser.
    »Was hast du?«
    Markus fiel am Strand auf die Knie, spuckte den Salzgeschmack aus, rieb sich frenetisch das Gesicht. Dann setzte er sich und ließ sich auf den Rücken fallen. Der Sand brannte auf der Haut, doch das störte ihn kaum. Jennis Gestalt verdunkelte die Sonne.
    »Er hat selber geplärrt«, sagte Markus.
    »Was?«, fragte Jenni. »Bist du okay?«
    Markus nickte und spuckte Wasser. Es blieb am Kinn hängen, aber das spielte keine Rolle.
    »Was ist das?«, fragte Jenni.
    Markus kniff die Augen zusammen. Sie brannten. Die Lider fühlten sich geschwollen und schwer an, als hätte er eine Gummimaske auf dem Gesicht.
    »Was?«
    »An deinem Bein.«
    Markus sprang auf. Sekundenlang war er sicher, dass es sich bei dem hautähnlichen Fetzen, der sich um seinen linken Knöchel gewickelt hatte, um eine Qualle handelte, die sein Fleisch bis auf den Knochen verbrennen und eine unauslöschliche Narbe hinterlassen würde.
    »Es ist nur Plastik«, sagte Jenni. Sie bückte sich. Das kalte glibberige Plastik glitt über den Knöchel, riss in einer langen Bahn ab. Jenni warf es in den Sand und lächelte. Es war kein höhnisches Lächeln, obwohl sie dazu allen Anlass gehabt hätte. Obwohl Markus ihr Sand in den Ausschnitt geworfen hatte. Jenni war Vanille und Haselnuss und Kälte, hinter der alle Weichheit der Welt lag.
    Als Markus und Jenni zur Bar zurückgingen, wandte sein Vater den Kopf, als hätte er irgendwie gespürt, dass sie kamen. Seine Sonnenbrille blitzte auf, doch sein Blick traf sie nicht.
    Schau doch , sagte Markus lautlos. Er fasste rasch nach Jennis Hand und hielt sie so fest, dass sie sich nicht losreißen konnte. Jenni hielt die Luft an, atmete dann aber im Takt ihrer Schritte gleichmäßig weiter.
    Schau doch, schau doch her .
    Ina erhob sich von ihrem Badetuch und legte die Arme um sich, als fröre sie. Ihr Blick war auf einen Punkt in der Höhe von Markus’ und Jennis Hüften fixiert, da, wo ihre Finger sich verschränkten, sich trotzig aneinanderdrückten. Auf ihrem Gesicht lag eine gekränkte, fast flehende Miene. Bestimmt hätte Ina gern
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