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Schatteninsel

Schatteninsel

Titel: Schatteninsel
Autoren: Marko Hautala
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sei Hexerei wie Stuhlgang, man betreibe sie so regelmäßig, dass man seine eigene Hexerei nicht mehr als solche erkannte. So wie der Stockholmer Bischof mit dem fetten Kinn, der alles begattete, was einen Rock trug, und glaubte, keine Sünde zu begehen, weil er seinen Schwanz mit einem Kalbsdarm schützte.
    Zur Belohnung für diese Wahrheit wurde Jakob erneut geschlagen. Der Schlag raubte ihm die Sehkraft im rechten Auge, die auch dann nicht zurückkehrte, als er den Kopf schüttelte. Jakob bat, man möge ihm auch das andere Auge blind schlagen, denn bald werde er in Gottes Himmel neue Augen bekommen. Doch diese Ehre versagte ihm der Mann, der hinter ihm stand.
    »Ihr habt Euer Heimatdorf im Verlaufe eines Abends und einer Nacht in den Mahlstrom von Irrsinn, Krankheit und Feuersbrunst gestürzt«, sagte der Apotheker, »und Ihr habt dieses Ereignis vor vielen Zeugen prophezeit, bevor es tatsächlich eintrat.«
    »Das ist richtig.«
    »Eure Niedertracht habt Ihr unter Frömmigkeit verborgen, was als weitere Sünde zu betrachten ist. Ihr habt den von Missernten und mangelnder Nahrung ausgezehrten Dorfbewohnern Essen und Trinken angeboten. War das Euer Plan? Die Not Eurer Brüder und Schwestern auszunutzen, um Böses zu säen?«
    »Was die Gottlosigkeit angeht, so waren sie damit bereits gefüllt wie Bierfässer. In den Staub wäre die Hexerei geflossen, wenn ich versucht hätte, mehr in sie hineinzugießen.«
    »Haltet Ihr Euch etwa für fromm?«, lachte der Mann. »Ein schmutziger …«
    Daran, wie er den Mund verzog, war zu erkennen, dass der Gedanke sich in Erbrechen zu verwandeln drohte, doch das Ehrgefühl verhinderte den Ausbruch des Sturms. Der Mann schluckte zweimal und fuhr fort:
    »Höret, ich glaube an die Existenz unreiner Geister, wie jeder gottesfürchtige Mann. Aber ich glaube auch an die Vernunft. Der Herr hat die Welt so geschaffen, dass jede Erscheinung ihren materiellen Grund hat. Diese Überzeugung verdanke ich Männern, deren Gelehrsamkeit größer ist als die meine. Männern, die nicht einmal zum Spaß mit Verrückten wie Euch zu debattieren pflegen.«
    Jakob lachte. Der Mann scherte sich nicht darum. Auftrumpfend beugte er sich über den Tisch. Um seine Augen zogen sich die bläulichen Fasern geplatzter Äderchen.
    »Ich glaube, dass die Taten Gottes und des Teufels den Gesetzen der Vernunft folgen. Deshalb vermute ich, dass man die Mechanik Eurer Hexerei bloßlegen und künftige Taten dieser Art verhindern kann.«
    Jakob hätte nicht übel Lust gehabt, über das unsinnige Gerede des Apothekers zu spotten, doch das Lachen lähmte seine Zunge. Erst beim dritten Schlag wurde der Schmerz so stark, dass der Lachkrampf aufhörte und er wieder fähig war zu sprechen. Er spuckte Blut aus und verkündete:
    »Werter Apotheker. Die Vernunft der Schöpfung habe auch ich mein Leben lang erforscht, im Schleim der Neugeborenen und in den Wonnen der Schwindsucht und im zahnlosen Geblök der bis in die Seele lüsternen Greise und im Eiter faulender Gliedmaßen und im Grunzen der Schweine, die ihre Mutter auffressen. Ich weiß freilich nicht, wem all diese Harmonie der Vernunft zu verdanken ist, Gott oder dem Teufel.«
    Die Kajüte schwankte im Sturm. Die Flammen der Laternen ließen Schatten über die Wände laufen.
    Als der Wächter meinte, die Stille müsse durch Schläge und qualvolles Stöhnen unterbrochen werden, gebot der Apotheker ihm Einhalt. Das Fenster hinter ihm war beschlagen.
    »Ich weiß nicht, welcher Irrsinn sich Eurer bemächtigt hat«, sagte er, »aber Ihr dauert mich.«
    Der Apotheker stand auf und ging schwankend zu einer Kiste in der Ecke, der er ein großes Buch entnahm. Die Finger machten einen Abstecher zur Zunge, bevor sie die Seite fanden, die er Jakob zeigen wollte. Darauf waren allerlei Kreise und Ringe verschiedener Größe, die umeinander liefen oder sich schnitten.
    »Die Bewegung der Himmelskörper«, erklärte der Apotheker. »Die Himmelsmechanik. Welche Regelmäßigkeit und Harmonie! Kein Körper ist einem anderen im Wege, alles ist so an seinen Platz gestellt, wie es gut ist. All das könntet Ihr selbst bezeugen, wenn Ihr nur Euren Kopf aus dem Schmutz heben und durch ein Rohr den Himmel betrachten würdet. Und dieselbe Harmonie würden wir im kleinsten Samenkorn entdecken, wenn unser Blick in sein Innerstes dringen könnte.«
    Jakob antwortete lächelnd: »Dieselbe unendliche Finsternis und Verworrenheit, am Nachthimmel und im Korn.«
    Der Apotheker musterte Jakob eine Weile
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