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Schatteninsel

Schatteninsel

Titel: Schatteninsel
Autoren: Marko Hautala
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zurechtzuweisen. Wieder klatschte eine Libelle gegen die Windschutzscheibe. Die Sonne fand einen Spalt zwischen den Bäumen und erfüllte einen kleinen Moment lang den ganzen Wagen. In ihrem Licht sah Jenni die Flügel, golden glänzend und brüchig wie zerspringendes Glas. Die kugelförmigen Augen, wie mit Stoff bezogene Knöpfe, von denen man sich nicht vorstellen konnte, dass sie etwas sahen.
    »Was für eine Verschwendung«, murmelte Jenni.
    Aaron schien ihre Bemerkung nicht gehört zu haben. Er schaltete die Scheibenwischer ein. Von den Libellen würde ihm nicht einmal eine Erinnerung bleiben. Er würde bei Nacht nicht von ihrem Todeskampf geweckt werden, vom Flattern der Flügel an der Scheibe. Von einer dummen, nutzlosen Erinnerung, die den Kopf füllte und einen wach hielt.
    Als Aaron Gas gab, skandierten die Bäume das Licht der Augustsonne in immer schnellerem Takt. Was nah war, hatte Bedeutung, ganz gleich, wie brüchig es war. Deshalb war es leicht gewesen zu leben, ohne an die Vergangenheit und an Markus zu denken. Miro und Aaron waren in der Nähe gewesen, Markus weit weg. Nun fuhren sie auf die Sonne zu, freiwillig.
    Markus’ Einladung war am ersten Montag im August gekommen. Versöhnung hatte darauf gestanden. Eine aus normalem Druckerpapier gefaltete Einladung. Ina hatte sie geschrieben, das glaubte Jenni jedenfalls. Auch Aaron hatte bezweifelt, dass Markus irgendwelche Einladungen verschicken würde, vorausgesetzt, dass die in den letzten sechs Jahren eingetröpfelten Informationen über seinen Gesundheitszustand korrekt waren. Aber vielleicht hatte Markus die Einladung in einem seiner klaren Momentediktiert. Vielleicht wollte er sie tatsächlich sehen, bevor er endgültig die Kontrolle über sein Leben verlor. Jenni merkte plötzlich, dass ihr Herz heftig pochte. Sie wandte rasch den Blick ab, wollte kein einziges zartflügliges Insekt mehr sehen.
    Falls noch etwas ungesagt ist, kommt. Es bleibt nicht mehr viel Zeit.
    Eine Einladung, die man nicht ablehnen konnte. Obwohl man nicht wissen konnte, ob Markus sich überhaupt noch erinnerte, jemanden eingeladen zu haben, wenn sie vorfuhren. Aaron hatte allerdings versucht, Termindruck vorzuschieben. Bis zur Wahl war es nur noch gut ein Jahr und er hatte genug Probleme, auch ohne in der Vergangenheit zu wühlen. Doch letzten Endes war er ein Mann mit Prinzipien, stets bereit, sich Herausforderungen zu stellen. Oder ein Mann, der vergangene Dinge klären wollte, für den Fall, dass seine Karriere ihn stärker als bisher ins Rampenlicht stellte. Jenni spürte einen Stich in der Brust, sooft sie an Markus dachte. Nur kurz, aber immer noch schmerzhaft, nach all den Jahren.
    Sie betrachtete das flimmernde Licht im Seitenfenster, in dem sich Aarons Gestalt spiegelte. Die Schultern gestrafft, den Blick auf die Straße geheftet. Keine raschen Blicke in die Spiegel. Ohne Aarons Beuteblick wäre Jenni von der Umlaufbahn abgekommen, in eine von Insekten wimmelnde Finsternis geglitten.
    Sie hielten bei einem kleinen Dorfladen hinter einer schmalen Brücke. Er musste neu sein, denn Jenni war sicher, dass sie sich an ein derartiges Zeichen der Zivilisation erinnert hätte. Im Grunde handelte es sich nur um einen Kiosk, eine dunkelrote Bretterbude, deren Warenangebot an Fotos aus dem Ostblock in den Achtzigerjahrenerinnerte. Konservendosen und Knäckebrot, ordentlich aufgereiht, aber nur in einer Reihe und mit zehn Zentimeter Abstand zwischen jeder Packung.
    »Machen Sie Urlaub?«, fragte der Verkäufer auf Schwedisch, als Jenni das Saftpäckchen mit dem unleserlichen Verfallsdatum, das Miro sich ausgesucht hatte, bezahlen wollte. Sie verstand die in einem seltsamen Dialekt gesprochenen Worte erst, nachdem der Mann sie geduldig zweimal wiederholt hatte. Er hatte einen stechenden Blick, wie ein Junkie. Aber in diese abgelegene Gegend würde wohl niemand Drogen liefern.
    Sie suchte nach einem neutralen schwedischen Ausdruck, doch der Mann erlöste sie von ihren Sprachproblemen, indem er enttäuscht nickte und sich darauf konzentrierte, das Wechselgeld abzuzählen. Jenni betrachtete die Wand hinter der Ladentheke, an der bunt durcheinander Zettelchen klebten, handgeschriebene Anzeigen, in denen Boote zum Verkauf angeboten und entlaufene Haustiere gesucht wurden. Ihr Blick fiel auf einen größeren Bogen, der mit dem Computer und – eine Ausnahme – auf Finnisch geschrieben war. Er zeigte ein verwackeltes Foto von einem Mann in Badehose, der im Wasser trieb. Auf seinem
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