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Schattenherz

Schattenherz

Titel: Schattenherz
Autoren: Ulrike Bliefert
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mehr.«
    Â»Musst du ja auch nicht«, sagte Anatol und reichte ihr die Rumflasche herüber. »Die sind gleich da und bringen uns hier weg.«
    Â»Nein, ich mein was anderes.«
    Â»Und zwar?«
    Â»Die Bilder von damals machen mir keine Angst mehr, verstehst du?«
    Anatol schaute sie fragend an.
    Â»Seltsam: Ich kann mich daran erinnern, wie ich damals im Schwimmbad untergegangen bin, und ich weiß auch noch genau, wie ich mich dabei gefühlt habe. Aber das Gefühl kommt nicht mehr bis hier.« Sie legte die Hand auf ihr Herz.
    Anatol lächelte. »Da gehören ja auch andere Gefühle hin, oder?«
    Ihre Gesichter waren sandverschmiert, sie schlotterten beide vor Kälte und Malins Haare klebten klitschnass und wild ineinander verknäult an ihrem Kopf. Es war ein verdammt unpassender Moment, um sich zu küssen.
    Aber sie taten es trotzdem.

Kapitel 14
    K elly erholte sich nur langsam. Ihre Eltern schickten Blumen, aber ein längerer Krankenhausaufenthalt reichte weder bei ihrem Vater noch bei ihrer Mutter als Anlass für einen Besuch.
    Kelly gab sich – ganz gegen ihre Gewohnheit – keine Mühe, ihre Enttäuschung darüber zu überspielen. Stattdessen begann sie endlich, ein wenig von sich zu erzählen: die ständig neuen Wohnorte, die von Jahr zu Jahr wechselnden Klassenkameraden und das verbreitete Vorurteil, dass aus einem reichen Elternhaus nur glückliche Kinder hervorgehen können, hatten im Lauf der Jahre dazu geführt, dass sie sich vor Gefühlen – und erst recht vor dauerhaften Beziehungen – regelrecht fürchtete.
    Â»Andererseits …«, sagte sie bei einem von Anatols und Malins Besuchen, »… andererseits müsst ihr doch zugeben, dass das mit unserer komischen WG gar nicht so schlecht gelaufen ist.« Als keine Antwort kam, riss sie ihre Riesenaugen auf und fuhr sich kokett durch ihre Lockenpracht. »Oder wie seht ihr das?«
    Anatol schüttelte amüsiert den Kopf. »Kelly, vergiss die Bette-Davis-Nummer! Ich nehm an, das heißt frei übersetzt, du machst uns hiermit einen Antrag.«
    Â»Na jaa … Ihr habt doch was von Osnabrück gesagt, oder?«
    Â»Ja, schon«, sagte Malin. »Aber gibt’s denn da ’ne juristische Fakultät?«
    Â»Ja, gibt es!« Kelly strahlte. »Und ich hab auch schon im Internet nach tollen, WG-geeigneten Altbauwohnungen geguckt!«
    Malin und Anatol wechselten einen raschen Blick, dann nickten beide.
    Â»Alles klar! «
    Â»Einverstanden.«
    Â»Supi!«
    Als man Nico Gräther Strafnachlass in Aussicht stellte, wenn er ein umfassendes Geständnis abgab, widerrief er sämtliche im ersten Prozess gemachten Aussagen und belastete seinen Vater schwer.
    Trotzdem zog sich das Entlassungsprozedere für Malins Mutter in die Länge.
    Als der große Tag gekommen war, trieb der Wind erste Schneeflocken vor sich her und Malin rieb fröstelnd die Hände aneinander.
    Es war ein bisschen wie im Kino: Die übliche endlos scheinende, von Stacheldraht gekrönte Betonmauer, davor eine öde, offensichtlich wenig befahrene Straße, bei der das Unkraut aus allen Fugen und Rissen wucherte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich ein schmuckloses Gebäude mit einem schmutzig grün gestrichenen Tor, aus dem die Gefängnisinsassinnen nach verbüßter Haft in die Freiheit entlassen wurden.
    In einiger Entfernung wartete ein Taxi. Der Fahrer hatte eine Fellmütze über seine Ohren gestülpt, lehnte rauchend an der Motorhaube und schenkte dem Geschehen keinerlei Beachtung.
    Vielleicht ist er ja auch einfach nur diskret.
    Obwohl Kelly angeboten hatte, sie zu fahren, und Anatol es kaum erwarten konnte, Christina Kowalski kennenzulernen, hatte Malin darauf bestanden, sie allein abzuholen: Sie wollte den Moment, in dem sich für ihre Mutter nach fünfzehn langen Jahren die Gefängnistore öffneten, für sich allein haben.
    Nach einer kleinen Ewigkeit öffnete eine Vollzugsbeamtin die Tür, die in das riesenhafte grüne Tor eingelassen war.
    Malin hielt den Atem an. Sie hatte diesen Augenblick tausendmal vor ihrem inneren Auge ablaufen lassen: Sie würde ihrer Mutter entgegengehen und sie würden sich umarmen und alles wäre einfach wunderbar.
    Stattdessen blieb sie wie angewurzelt stehen und sah zu, wie Christina Kowalski sich mit einem herzlichen Händeschütteln von der Beamtin
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