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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens
Autoren: Luanne Rice
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    Prolog
    A lle dachten nur noch an das bevorstehende Picknick am Strand, das jeden Sommer stattfand, und in der Küche des Kinderheims herrschte Hochbetrieb. Ein Schinken brutzelte im Backofen, der in dünne Scheiben geschnitten und kalt gegessen werden sollte, Garnelen aus der Dublin Bay, das Geschenk eines Wohltäters von St. Augustine’s, lagen im großen Kühlschrank bereit, frisch gebackenes Brot kühlte auf dem Gitterrost ab, und die Kekse waren schon in den Körben verstaut.
    Die dreizehnjährige Kathleen Murphy stand an dem langen Arbeitstisch aus Edelstahl und schälte Kartoffeln für den Kartoffelsalat. Ihre Finger gingen so flink zu Werke, dass ein Zuschauer die Bewegungen nur noch verschwommen wahrgenommen hätte. Die langen Haare zum Pferdeschwanz zusammengebunden, trug sie eine gestärkte grüne Schürze, um ihre Kleidung zu schützen. Mit einem Auge behielt sie ihre Arbeit und mit dem anderen die Seitentür im Blick. Schwester Anastasia würde in fünf Minuten zurückkehren, und wenn James Sullivan bis dahin nicht aufgetaucht war, würde die Hölle los sein.
    Sie lenkte sich ab, indem sie sich die exquisiten Gerichte vorstellte, die sie viel lieber zubereitet hätte als die einfachen Speisen, mit denen sie nun beschäftigt war. Obwohl sie genau wie alle anderen Küchenlehrlinge von Schwester Theresa gelernt hatte, Kantinenessen für die Gemeinschaft zuzubereiten, träumte sie davon, Gourmetmahlzeiten zu kreieren, wie sie in den ausgefallenen Kochbüchern von Schwester Theresa beschrieben wurden: Artischocken-Rucola-Salat, Marseiller Bouillabaisse, Lammrippe, gebratener Thunfisch, Pilzrisotto …
    Als die Tür aufging und James hereinstürmte, als gälte es, ans andere Ende eines Footballfeldes zu gelangen, atmete Kathleen endlich auf und hielt ihm die Strafpredigt, die er dringend brauchte.
    »Um Himmels willen, was hast du dir dabei gedacht? Willst du uns alle in Teufels Küche bringen? Und das Picknick ruinieren? Du weißt, wenn sie sauer wird, bläst sie die ganze Sache ab. Wir freuen uns auf das Sommerfest, und du versuchst uns den Spaß zu verderben. Das ist mal wieder typisch für dich, James. Ganz und gar …«
    »Jetzt hör schon auf, Kathleen.« Grinsend fing er das Geschirrtuch auf, das sie ihm zuwarf. »Du weißt, dass Schwester Anastasia das Picknick nicht absagen würde. Sie freut sich genauso darauf wie du.«
    »Wo hast du überhaupt gesteckt?«, fragte Kathleen misstrauisch. James war für den Abwasch zuständig und in dieser Woche jeden Tag zu spät gekommen. Normalerweise erzählte er ihr alles. Sie wohnten in getrennten Unterkünften, er im Jungen- und sie im Mädchenflügel, aber sie hatten dafür gesorgt, dass sie dieselben Unterrichtsstunden besuchten, ihre Freizeit miteinander verbringen konnten und von den Schwestern Arbeiten in unmittelbarer Nähe zugewiesen bekamen.
    »Hast du heute mehr Geschirr beim Kochen benutzt?« Er beäugte den Stapel im Spülbecken.
    »Mach mir ja keinen Ärger«, warnte sie ihn. »Ich habe dich bei Schwester Theresa gedeckt. Sie wollte wissen, wo du steckst, und ich habe ihr erzählt, dass du hinten im Hof bist und den Lieferwagen des Großhändlers auslädst. Wenn sie deinen Sonnenbrand und die vielen neuen Sommersprossen sieht, weiß sie, dass es eine Lüge war und du dich irgendwo in der Sonne herumgetrieben hast. Wo warst du? Jetzt sag schon, James.«
    »Mach ich.« Er nahm das Geschirr in Angriff. »Versprochen. Aber lass mich zuerst diesen Berg hier wegschaffen.« Er sah sie an und warf ihr ein übermütiges Lächeln zu, das sie dahinschmelzen ließ. Das gelang ihm jedes Mal aufs Neue. Seine Haare waren feuerrot, er hatte jede Menge Sommersprossen und abstehende Ohren, doch sein Anblick ließ Kathleens Herz höherschlagen – er war herzensgut, zuverlässig wie ein Fels in der Brandung und immer guter Dinge.
    In seinem Beisein arbeitete sie doppelt so schnell, schnitt die Kartoffeln zu perfekten Würfeln und mischte sie in der großen Edelstahlschüssel unter den Salat. Sie kannte James von Geburt an. Sie waren im selben Krankenhaus zur Welt gekommen, und ihre Mütter hatten beschlossen – aus welchen Gründen, wussten nur Gott, die Nonnen und ihre Mütter selbst –, sie unverzüglich in die Obhut des Kinderheims St. Augustine’s zu geben, einer kirchlichen Institution, die sich in einem roten Backsteingebäude in einer ruhigen Seitenstraße eines Dubliner Wohnviertels befand. Auf Nimmerwiedersehen, Kinder.
    Kathleen sah noch
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