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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens
Autoren: Luanne Rice
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Anwesens bildete. Er und seine Mannschaft waren für Hege und Pflege der Rasenflächen, der blühenden Gärten, des ertragreichen Weinbergs, der alten Steinmauern – die das Land nach irischem Brauch in Parzellen unterteilten – und der Gebäude zuständig. Er hatte ein begründetes Interesse am Erhalt der Domäne; der einstige Herrensitz hatte zu den Liegenschaften seines Urgroßvaters väterlicherseits gehört, Francis X. Kelly, namhafter Industrieller und Philanthrop.
    Bernadette warf Tom einen verstohlenen Blick zu und sah, dass er aus dem Taxifenster starrte. Sie versuchte seine Miene zu ergründen. Sie kannte ihn seit Ewigkeiten oder zumindest den größten Teil ihres Lebens. Sie waren sich zum ersten Mal im Star of the Sea begegnet, bei den Sommerpicknicks am Strand, zu denen seine Familie ihre Angehörigen einzuladen pflegte. Francis X. Kelly hatte ihren Großvater Cormac Sullivan beauftragt, die Steinmauern auf dem Grundstück zu errichten. Ihre Familien konnten auf eine lange gemeinsame Geschichte verweisen, genau wie Bernadette und Tom.
    Tom hatte den Reichtum seiner Familie in den Wind geschrieben, um mit seiner Hände Arbeit das Land zu bestellen. Er setzte sich leidenschaftlich für soziale Belange und Gerechtigkeit ein, fühlte sich dem Vermächtnis seiner Vorfahren verpflichtet, das aus Armut, Hunger und Kampfgeist bestand. Er hatte teure Privatschulen besucht, doch danach einem Leben, das Luxus und Bequemlichkeit verhieß, den Rücken gekehrt. Er zog es vor, sich die Hände schmutzig zu machen, mit beiden Füßen fest auf dem Boden zu stehen. Dafür liebte Bernie ihn. Sie bezweifelte, dass sie einen besseren Verwalter finden würde, und wusste, dass sie sich keinen besseren Freund wünschen konnte.
    Er sieht müde aus, dachte sie. Die Reise war für ihn vielleicht noch belastender als für sie, was einiges hieß. Sie wusste, dass er große Hoffnungen in Hinblick auf das Ergebnis hegte. Und sie wusste, noch bevor sie mit der eigentlichen Suche begannen, dass er enttäuscht sein würde.
    »Wir sind da«, erklärte der Taxifahrer mit breitem irischem Akzent. »Der Konvent Notre Dame des Victoires.«
    »Dreimal dürfen Sie raten, wer von uns beiden hier absteigt«, sagte Tom, an ihn gewandt.
    »Sehr witzig«, entgegnete Bernadette, als der Taxifahrer grinste.
    Obwohl der Taxifahrer Anstalten machte, ihr Gepäck auszuladen, übernahm Tom die Aufgabe. Er griff in den Kofferraum und hob ihren Koffer heraus. Sie benutzte ihn kaum, denn sie verließ nur selten das Star of the Sea, mit Ausnahme der gelegentlichen Synoden der Ordensgemeinschaften oder Klausuren, zu denen sie sich in ein anderes Kloster zurückzog. Da ihre Familie – ihr Bruder John, seine Frau Honor und deren drei Töchter – auf dem Gelände der Academy lebte, verbrachte sie auch ihre einwöchige Urlaubszeit in der Regel zu Hause.
    Sie hatte im letzten Jahr um ein Sabbatjahr gebeten, in der Hoffnung, nach Florenz zu reisen und sich dort intensiv mit den Werken ihres geliebten Fra Angelico zu beschäftigen, aber nie die Zeit gefunden, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Die Academy schien sie fortwährend zu brauchen – um die Schule zu leiten, Entscheidungen im Konvent zu treffen, die Ertragskraft des Weinbergs zu sichern.
    Die Reise nach Dublin fiel in die Kategorie »persönliche Auszeit«. Als Äbtissin des Klosters hatte sie diese Auszeit Mitschwestern gewährt, die kranke Geschwister oder Eltern betreuen, an Beerdigungen teilnehmen oder bei Notfällen ihre Familien unterstützen wollten. Für ihre eigene Abwesenheit hatte sie rasch alle nötigen Vorkehrungen getroffen und Schwester Ursula zu ihrer Stellvertreterin ernannt, ihr die gesamte Verantwortung übertragen, den hektischen Beginn des neuen Schuljahres eingeschlossen. Keine ihrer Nonnen hatte sich jemals einer Herausforderung der Art gegenübergesehen, mit der sie nun konfrontiert war, und der Gedanke jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
    »Ist dir kalt, Bernie?« Tom sah, wie sie zitternd in der Haltebucht stand.
    »Nein, keine Sorge. Alles in Ordnung.«
    »Brütest du etwas aus?«
    Sie schüttelte den Kopf und blickte an ihm vorbei auf die geschlossenen Vorhänge an den Fenstern des Konvents. Sie meinte zu sehen, wie sich der Stoff bewegte und ein Schatten hinter der Glasscheibe vorüberglitt.
    »Ich bin dann im Haus«, sagte er. »Du hast meine Telefonnummer. Falls sie keinen Orangensaft haben oder du Aspirin oder irgendetwas anderes brauchst, weißt du ja, wen
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