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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens
Autoren: Luanne Rice
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bestimmten Ort hier auf der Erde.
    Der Gesichtsausdruck des Geistes war von Liebe erfüllt. Langsam schwand sein Lächeln, und er wich zurück, Bedauern in den Augen. Er drehte sich um und setzte seinen Weg fort, den anderen Klippenpfad nehmend, der bergab führte, wobei er noch schneller ausschritt. Dann fiel ein Schatten über die Küste, wanderte weiter, und die Sonne schien heller als zuvor. Kathleen drehte sich weder um, um dem Mann nachzusehen, noch reagierte sie auf andere Weise, und Seamus merkte erschrocken, dass sie ihn offenbar überhaupt nicht wahrgenommen hatte.
    »Warum hast du gerade ›Tom‹ gesagt? Und ›Doolin‹?«, fragte sie mit einem sanften Lächeln.
    »Du hast nicht zufällig gerade gesehen …«, fragte Seamus, nur um sicherzugehen. Sein Herz klopfte. Er wäre dem Geist am liebsten nachgelaufen, aber er fühlte sich wie erstarrt.
    »Alles, was ich sehe, sind mein Mann und mein Sohn. Es wird Zeit, Liebster …«
    »Du hast den Mann mit dem Hut nicht gesehen?«
    Lächelnd schüttelte sie den Kopf. »Du bist müde. Komm, lass uns gehen. Wir können nächstes Jahr wieder herkommen, wenn wir Bernie besuchen.«
    »Bernie …«, murmelte Seamus. Er brauchte dringend ein Telefon, er musste sie umgehend anrufen. Er küsste Kathleen und ging mit ihr, das Baby auf dem Arm, denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Als sie an eine Biegung gelangten, an der sich der Pfad noch mehr verengte, erspähte er einige Wolltweed-Fäden, die sich an den vorstehenden Zweigen eines Gestrüpps aus Myrte und Wildrosen verfangen hatten – Tweed von einem Jackett.
    Seamus verlangsamte seinen Schritt und streckte die Hand aus. Er wusste, noch bevor er die Fäden berührte, was er sehen würde – eingetrocknetes rostbraunes Blut, Spuren einer Reise nach Irland, die von einem Kampf zwischen Vater und Sohn stammten.
    Sein Herz drohte auszusetzen. Toms Geist war seinem Blick entschwunden. Was blieb, war eine leichte Brise, die das Gebüsch bewegte und über seine Haut strich. Sie kräuselte Kathleens Zopf und den weichen Flaum auf dem Köpfchen des Kindes.
    »Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Kathleen mit besorgter Miene.
    »Kathleen, ich bin gerade einem Geist begegnet«, flüsterte er.
    »Dem Geist deines Vaters?«
    Seamus nickte. »Woher weißt du das?«
    »Ich glaube, ich habe ihn im Star of the Sea gesehen«, flüsterte sie. »Eines Morgens, als ich die Schwestern zur Laudes begleitet hatte und mich im Chorraum umschaute, stand er direkt hinter Bernies Chorstuhl.«
    »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«
    Kathleen errötete. »Es ging nur die beiden etwas an. Ein intimer Augenblick zwischen Bernie und Tom. Ich … ich wandte den Blick ab, ich wollte nicht stören. Und später ist es mir einfach entfallen.«
    »Was war das für ein Augenblick?«
    »Oh, du hättest das Lächeln auf ihrem Gesicht sehen sollen …«
    »Sie … sie wusste, dass er da war?«
    »Natürlich«, flüsterte Kathleen.
    Seamus hielt Kathleen umschlungen, das Baby zwischen ihnen. Irische Geister waren machtvolle Wesen. Er dachte an Sixtus und fühlte sich vom Geist seines Ahnherrn Tadhg Mor O’Kelly beschützt, der sich jeden Tag aufs Neue aus dem Schattenreich hinter den Wellen erhob. Und er dachte an Toms Liebe zu Bernie, die so stark war, dass er immer wieder zu ihr zurückkehrte oder vielleicht niemals fortgegangen war.
    Kathleen und Thomas im Arm haltend, wusste Seamus, dass er nicht nur die beste Familie der Welt, sondern auch wahre Liebe gefunden hatte. Oder umgekehrt, dass die Liebe ihn gefunden hatte. Die Einzelheiten, wie es dazu gekommen war, spielten kaum noch eine Rolle. Er hielt die blutgetränkten Fäden von Toms Jackett in der Hand wie einen kostbaren Schatz und sann darüber nach, was er Bernie über ihre Vision gesagt hatte, über die Worte:
Sei bereit
.
    Er blickte in Kathleens Augen, in denen sich Liebe, ein wacher Verstand und Schmerz spiegelten, und wusste, er war zu allem bereit, komme, was da wolle, solange sie zusammen waren.
    Die Welt war angefüllt mit dem Geschenk der Liebe, und sie hatten ihr ganzes Leben noch vor sich, um es auszukosten. Die Wellen brandeten gegen den Fuß der Klippe, und er war überwältigt von ihrer Gewalt und Schönheit. Seine Haut prickelte, er wusste, er musste eine Nachricht überbringen. Bernie war in Connecticut, im Star of the Sea, und er konnte es kaum erwarten, ihr zu erzählen, dass Tom auch ihm erschienen war. Doch fürs Erste drehte er sich auf dem Cliff Walk zu
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