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Der Herr vom Rabengipfel

Der Herr vom Rabengipfel

Titel: Der Herr vom Rabengipfel
Autoren: Catherine Coulter
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Kapitel 1
    Sklavenmarkt des Khagan-Rus Kiew, im Jahre 916 n. Chr.
    Über dem Sklavenmarkt hing ein süßlicher Geruch, der von ungewaschenen Menschenleibern herrührte. Er wurde nur von der frischen Brise gemildert, die an diesem frühen Julimorgen vom Dnjepr herauf wehte, dem breiten, träge dahinfließenden Strom, dessen letzte Eisschollen erst vor einem Monat geschmolzen waren.
    Die Sonne ging wie ein goldener Feuerball hinter dem karstigen Hügelland im Osten auf. Erst am späten Vormittag würde der Gestank der zum Trocknen ausgelegten Tierhäute und der ausgemergelten, schmutzverkrusteten Leiber im Sklavenring unerträglich werden. Einem empfindsamen Betrachter mochte sich zwar beim Anblick des menschlichen Leides der Magen umdrehen, doch an einem Ort wie diesem nahm niemand Notiz davon.
    Im Gehen löste Merrik Haraldsson die gehämmerte Silberspange seines weichen Otterumhangs und legte ihn über den Arm. Er kam von seinem Langboot, Silberrabe, das unten am Ufer des Dnjepr an einer langen Holzmole vertäut lag. Er war den Pfad rasch heraufgestiegen, denn er wollte frühzeitig auf dem Sklavenmarkt sein, um eine Magd für seine Mutter zu kaufen, bevor die gute Ware aussortiert und nur noch Sieche und Alte übrig waren.
    Der nach dem Prinzen von Kiew benannte Khagan-Rus-Sklavenmarkt lag außerhalb der Stadt. Die Bezeichnung sollte wohl daran erinnern, daß bei jedem Kauf eine stattliche Summe in den tiefen Taschen von Prinz Khagan-Rus verschwand.
    Merrik wandte sich an seinen Jugendgefährten Oleg. »Sobald ich die Sklavin gekauft habe, machen wir uns auf den Rückweg. Hilf mir, Oleg, die Richtige zu finden. Ich will keine stumpfsinnige Magd für meine Mutter, aber auch keine glutäugige Schönheit, um die Treue meines Vaters nicht unnötig auf die Probe zu stellen. Er hatte seit dreißig Jahren keine Nebenfrau, und dann soll er auf seine alten Tage nicht noch in Versuchung kommen.«
    »Deine Mutter würde ihm die Hammelbeine langziehen, wenn er einer anderen Frau schöne Augen machte.«
    Merrik grinste. »Ja, meine Mutter hat ein hitziges Temperament. Im Gegensatz zu meiner Schwägerin Sarla, die ein schüchternes, duldsames Wesen ist.«
    »Und dein Bruder ein Mann von großem Appetit, Merrik. Ein Weib muß keine Schönheit sein, um bei Erik Gefallen zu finden.«
    »Ja, das stimmt. Wir müssen ein paar Punkte berücksichtigen, um die richtige Sklavin zu finden. Meine Mutter braucht eine anstellige Magd, der sie das Spinnen beibringen kann, da Mutters Finger steif werden und schmerzen. Roran meint, das Angebot sei heute besonders gut, da erst gestern eine Schiffsladung mit Sklaven aus dem byzantinischen Reich angekommen ist.«
    »Aus der goldenen Stadt Miklagard. Sie soll die größte Stadt der Welt sein. Dorthin würde ich gerne einmal reisen.«
    »Kaum vorstellbar, daß mehr als eine halbe Million Menschen dort leben. Nächsten Sommer bauen wir ein größeres Langboot, um die gefährlichen Stromschnellen hinter Kiew zu bezwingen; es sind sieben hintereinander, eine gefährlicher als die andere, und eine trägt den Namen Aifur. In ihr kommen mehr Männer um, als in den sechs übrigen zusammen. Der Transport des Bootes über Land ist nicht weniger gewagt, denn an den Ufern des Dnjepr hausen wilde Stämme, die nur darauf warten, daß Langboote an den todbringenden Stromschnellen vorbeigetragen werden. Ich will nicht sterben, nur um Miklagard und das Schwarze Meer zu sehen. Der Preis wäre mir zu hoch.«
    »Aha. Aifur heißt die Stromschnelle«, grinste Oleg. »Du hast wohl schon Erkundigungen eingezogen und bereitest dich innerlich auf diese Reise vor, hab' ich recht?«
    »Möglich. Aber Oleg, reich werden wir auch mit unseren Geschäften in Birka und Hedeby. Dort kennt man uns und vertraut uns. Die irischen Sklaven haben uns mehr Silber gebracht, als wir beide für möglich hielten. Und dieses Jahr werden wir durch unseren Handel mit Pelzen aus Lappland noch reicher. Erinnerst du dich an den Mann, der uns die Ladung Hornkämme abkaufte? Er sagte, er habe mehr Frauen als er zählen kann, und alle bettelten ihn an, Kämme mitzubringen. Er jammerte, die Haare seiner Frauen brächten ihn noch an den Bettelstab. Nächstes Jahr fahren wir nach Miklagard. Hab' Geduld.«
    »Du bist doch der Ungeduldige, Merrik.«
    »Ja, auch ich muß mich gedulden. Diesmal kehren wir aus Kiew mit mehr Silber nach Hause, als unsere Väter und Brüder besitzen. Wir sind reich, mein Freund.«
    »Nicht zu vergessen den Ballen blauer Seide,
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