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Der Herr vom Rabengipfel

Der Herr vom Rabengipfel

Titel: Der Herr vom Rabengipfel
Autoren: Catherine Coulter
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vor sich hin. Aber er war sehr behutsam und jedes Mal, wenn das Mädchen vor Schmerz zusammenzuckte, durchfuhr ihn ein Stich. Bald war ihr Rücken dick mit weißer Salbe eingestrichen. Cleve stand auf. »Du bleibst liegen und rührst dich nicht. Ich bringe dir etwas Brühe.«
    Sie schwieg und wartete, bis der Mann gegangen war. Dann blickte sie sich um. Die Kammer hatte weiß gekalkte Wände. Lange Zeit hatte sie nur in rußgeschwärzten Verschlägen gehaust, und nun blendete sie die Helligkeit. Die Einrichtung bestand aus der schmalen Pritsche und einem kleinen Tisch daneben, auf dem eine Kerze stand. Hoch oben in der Wand war ein Fenster eingelassen, durch das ein Bündel Sonnenstrahlen fiel, und dafür war Laren dankbar. Sie dachte an Taby und fragte sich bang, was wohl aus ihm werden würde, obgleich sie die Antwort schon wußte. Sie hatte ihn ihm Stich gelassen. Der Schmerz darüber krampfte ihr das Herz zusammen.
    Sie wußte, was mit verwaisten Kindern im Sklavenlager geschah. Sie hatte solche Kinder sterben gesehen. Wenn sie überlebten, wurden sie in diesem fremden, wilden Land solange mißbraucht, bis ihr Herr ihrer überdrüssig war. Diese grausame Behandlung würde Taby nicht überleben.
    Sie weinte nicht. Tränen gehörten einer Vergangenheit an, deren Erinnerung immer schwächer und grauer wurde, und die keine Bedeutung mehr hatte in einer Gegenwart von Hunger und Grausamkeit, in der nur noch der eiserne Überlebenswille zählte.
    Sie fragte sich, ob sie ihrem Leben ein Ende setzen sollte, da es nun keinen lohnenden Grund mehr gab, um ein Überleben zu kämpfen. Wegen Taby hatte sie sich tausendmal eingehämmert, durchhalten und weiterkämpfen zu müssen. Wäre er nicht gewesen, hätte sie einfach die Augen geschlossen und nie wieder geöffnet. Doch der
    Kleine hatte sie gebraucht und wäre ohne ihren Schutz gestorben. Nun hatte man ihr Taby entrissen, und er würde sterben.
    Wenn er aber heute noch keinen Käufer gefunden hatte, war er noch im Lager, in dem umzäunten Areal neben dem Sklavenmarkt. Allein, hungrig und zu Tode verängstigt. Sie war seine einzige Hoffnung. Wie dumm von ihr, die Hand gegen Thrasco zu erheben. Er hatte sie ausgepeitscht, und nun lag sie hilflos und zerschunden auf dem Bauch. Sie versuchte sich, auf die Ellbogen gestützt, aufzurichten. Der brennende Schmerz raubte ihr beinahe das Bewußtsein. Sogar das Atmen tat weh. Erstaunlich, welches Maß an Schmerzen sie heute ertragen konnte, die sie früher mit Sicherheit umgebracht hätten. Wo war das zarte, verwöhnte Geschöpf von einst geblieben?
    Sie hatte großen Hunger und roch die Rinderbrühe, noch bevor Cleve die Kammer betrat. Speichel sammelte sich in ihrem Mund.
    »Bleib auf dem Bauch liegen. Ich schiebe dir ein Kissen unter, damit du essen kannst.«
    Er flößte ihr die Brühe löffelweise ein, die ihr heiß in den Magen lief und ihren ganzen Körper erwärmte. Sie aß die Schüssel leer. »Gib mir mehr.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, wenn du mehr ißt, mußt du dich nur übergeben. Schlaf jetzt.«
    »Wie spät ist es?«
    »Mittag.«
    »Warum hast du diese häßliche Narbe im Gesicht? Was haben sie dir getan?«
    Er schwieg einen Augenblick, dann lachte er ein rauhes, bitteres Lachen. »Das ist eine lange Geschichte, bei der den Frauen die Tränen in die Augen treten, und die Männer vor Neid erblassen.«
    »Ich wollte dich nicht kränken, Cleve. Hat man dir das Gesicht zerschlagen, als du so alt warst wie ich?« »Gut geraten, kleines Mädchen. Sei jetzt still.«
    »Du hast schöne Augen. Ein braunes und ein blaues. In meinem Land würden die Leute glauben, du stehst mit dem Teufel im Bunde.«
    Brummend zog er ihr die Decke bis zu den Hüften. »Wäre ich mit dem Teufel im Bunde, wäre ich nicht Thrascos Sklave. Ich würde über Kiew herrschen. Doch das Leben hat es nicht gut mit mir gemeint. Wenigstens hatte ich immer einen vollen Bauch. Im Augenblick bist du häßlicher als ich.«
    »Und ich rieche schlechter.«
    »Auch das.« Cleve rieb sich das Kinn. »Hast du starke Schmerzen?«
    »Nicht mehr so schlimm. Die Salbe wirkt Wunder.«
    »Ja. Thrascos Mutter ist eine Hexe. Sogar die Araber haben Respekt vor ihr. Sie tut, was ihr beliebt und läßt sich von niemandem dreinreden.«
    »Du bist gut zu mir. Wenn du die Narben im Gesicht nicht hättest, wärst du ein schöner Mann. Dein Haar ist golden wie das eines Gottes, und du bist schön gebaut.«
    »Du hast gute Augen, Mädchen. Sei jetzt still. Thrasco hat befohlen,
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