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Der Herr vom Rabengipfel

Der Herr vom Rabengipfel

Titel: Der Herr vom Rabengipfel
Autoren: Catherine Coulter
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daß ich dich pflege. Für eine Sklavin bist du ziemlich ungewöhnlich. Ob Thrasco recht hat? Sind deine Eltern keine Sklaven? Hast du anderes Blut als ich?«
    Sie sah ihn lange an, dann sagte sie gedehnt: »Ich habe einen kleinen Bruder, Cleve.«
    »Ich hatte auch einen Bruder, doch das ist lange her. Er war älter als ich. Er wurde verkauft und ich nicht. Ich kann mich nicht einmal mehr an sein Gesicht erinnern.«
    »Dann verstehst du mich. Ich muß ihn retten.«
    Cleve lachte herzhaft. »Der Kleine wird nicht hier in Kiew sterben. Nein, er wird an einen arabischen Händler in Miklagard verkauft oder noch weiter in den Süden. Und dann wird er Lustknabe sein. Das ist gar nicht so schlecht. Ich habe es auch überlebt.«
    »Es tut mir leid, daß man dir das angetan hat. Ich darf nicht zulassen, daß so etwas mit Taby geschieht.«
    »Du kannst es nicht verhindern. Du bist eine Sklavin, selbst wenn königliches Blut in deinen Adern fließen würde. Du bist nichts wert, weniger als nichts.«
    »Für einen Sklaven hast du eine gebildete Sprache, Cleve!«
    Er grinste. »Der Herr, der mich mißbrauchte, hat mich auch erzogen. Wenn er mit mir fertig war und befriedigt in seinen Kissen ruhte, erzählte er mir von den Griechen und ihren seltsamen Sitten. Wenn du deine Zunge nicht im Zaum hältst, wirst du bald zu Tode geprügelt, und die Heilkraft der Wundersalbe war umsonst.«
    »Ja, du hast recht«, antwortete sie schläfrig. »Am besten, ich vergesse meinen kleinen Bruder. Was bedeutet schon so ein kleiner Wurm?«
    Cleve runzelte die Stirn. Er kannte das Mädchen zwar erst flüchtig, aber solche Worte wollten nicht zu ihr passen. Er erhob sich und sah sich ihren Rücken an. »Es hat aufgehört zu bluten. Thrasco meint, morgen kann ich dich baden und dir saubere Kleider geben. Er wird dich persönlich begutachten. Und du wirst deine Zunge im Zaum halten.«
    »Saubere Kleider, darauf freue ich mich«.
    Immer noch stirnrunzelnd meinte Cleve: »Er wird nicht verlangen, daß du dich nackt vor ihm ausziehst. Er macht sich nichts aus Knaben, deshalb wirst du deine Maskerade noch eine Weile beibehalten können. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß du wie ein Junge aussiehst, wenn du erst mal gewaschen bist.«
    »Ich laufe schon lange als Junge herum. Niemand hat bisher Verdacht geschöpft. Es war mein einziger Schutz.«
    »Dann warst du in einem Land von Dummköpfen.«
    Cleve wandte sich zum Gehen. Er war beunruhigt, ohne zu wissen warum. Sie war eine Sklavin und würde bald der alten Evta gehören, falls Thrasco ihr Geschlecht nicht vorher entdeckte und sie an ein Bordell verkaufte, wo man sie zu Tode prügeln würde.
    »Danke, Cleve«, hörte er ihre schläfrige Stimme im Rücken. Wenn Thrasco herausfand, daß sie ein Mädchen war, würde er sie vermutlich töten, weil sie seine Pläne durchkreuzt hatte. Die Schwester des Prinzen Kaghan-Rus duldete kein junges Mädchen in ihrem Haus. Sie umgab sich nur mit Frauen, die älter waren als die Sümpfe am Westufer des Dnjepr.
    Ihn ging das alles nichts an. Die Kleine hatte Mut und war dumm genug, ihn zu zeigen. Und was hatte ihr das eingebracht? Sie lag mit zerschundenem Rücken auf dem Bauch. Es stimmte ihn traurig, an das grausame Schicksal zu denken, das dem Mädchen bevorstand.
    Endlich war es dunkel. Das kleine Fenster der Kammer war ein schwarzes Loch. Kein Mondschein, kein Stern.
    Cleve hatte ihr noch eine Schüssel Suppe gebracht, war aber nur kurz geblieben. Sie hatte ihn gebeten, ihr den Korb mit weichem Brot dazulassen, und er hatte es getan, der Narr. Sie wickelte das Brot in einen Fetzen, den sie vom Bettzeug gerissen hatte. Das übrige Laken schlang sie um ihren Körper, darüber streifte sie ihre zerlumpten Kleider. Sie sah wirklich aus wie ein Junge, niemand würde Verdacht schöpfen. Ihr Haar war kurz und verfilzt. Außerdem stank sie so bestialisch, daß niemand auf den Gedanken käme, sich für ihr Geschlecht zu interessieren. Wenn nur das Brennen ihres wunden Rückens sie nicht in die Knie zwang. Sie biß die Zähne aufeinander, um nicht aufzustöhnen.
    Die Tür war nicht verschlossen, sonst hätte sie sich aus dem kleinen Fenster zwängen müssen. Wie ein Schatten huschte sie in den schmalen, schwach erleuchteten Flur. Der Boden war mit Brettern belegt. Die niedere Decke bestand aus weiß gekalkten Holzbalken. Es war niemand zu sehen. Als sie ins Haus gebracht worden war, hatte sie sich den Weg eingeprägt. An einem Quergang wandte sie sich nach links.
    Sie
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