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Delikates zum Dessert

Delikates zum Dessert

Titel: Delikates zum Dessert
Autoren: Katinka Dietz
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Katz und Maus
     
    Ich schlage eine der Frauenzeitschriften auf und lande auf den „Frust & Lust“-Seiten. Flaute in den Federn? Outdoor-Sex bringt Spannung in Ihr Liebesleben! Auf einer Doppelseite sieht man ein junges Paar auf einer Blumenwiese liegen. Sie, dunkle Locken und schön wie Cinderella nach der Vermählung, liegt auf dem Rücken, und aus ihrem sinnlich-lächelnden Mund ragt ein Gänseblümchen. Er, über sie gebeugt, ist nur von hinten zu sehen. Mein Blick fällt auf die Muskelstränge, die seinen Oberkörper und seine starken Arme modellieren. Der Prinz streicht mit einer Butterblume um die aufgerichteten Spitzen ihrer formvollendeten Brüste, die sich ihm entgegenrecken. Das Bild erregt mich. So sehr, dass ich aufschrecke, wie ertappt weiter blättere und verstohlen die Gesichter der anderen mustere.
    Seit anderthalb Stunden sitze ich in einer Arztpraxis fest, rutsche vor Schmerzen auf dem Stuhl herum und blättere in Zeitschriften, die für junge Frauen gemacht werden, die anscheinend für alles im Leben eine Gebrauchsanweisung brauchen: Beziehungskiller Seitensprung: So gehen Sie unentdeckt fremd! Weiter hinten: 100 Wege zum Super-Orgasmus. Dann Astro-Sex. Und im nächsten Blatt wieder: Einmal ist keinmal – Fremdgehen mit Köpfchen .
    So lange ich denken kann, tappe ich bei Zeitschriften in die gleiche Falle: Ich nehme für bare Münze, was sie schreiben. So muss es sein – die Welt da draußen ist bevölkert mit strahlend schönen, topmodischen, Karriere machenden Individualistinnen, die auf Blumenwiesen beglückt werden, beim Fremdgehen multiple Orgasmen haben und sich so schlau anstellen, dass ihre Männer noch nicht einmal etwas mitkriegen. Einmal ist keinmal. Einen Moment lang bin ich geneigt, sogar das zu glauben. Dabei müsste ich es besser wissen.
     
    Auch wenn Artikel zum Thema Sexualität nun regelmäßig in großformatigen schwarz-weiß Illustrierten wie Quick oder Neue Revue erschienen, und wir uns frei von vielen Zwängen fühlten, waren wir doch noch reichlich verklemmt damals, vor 40 Jahren.
    An jenem Dienstag im Juni 1964, an dem ich den neuen Nachbarn zum ersten Mal sah, hatte ich den ganzen Tag mit Radiohören und Zeitschriftenblättern vertrödelt und wieder einmal das Gefühl gewonnen, ein Aschenputtel zu sein. Meine Einstellung war von gestern und meine Kleider schon vorgestern untragbar geworden.
    Ich hatte eben einen aufklärerischen Artikel mit der Überschrift Dein Kind – das unbekannte Wesen gelesen, in dem es um sittliche Gefährdung von Jungen und Mädchen ging. Der Verfasser war Oswalt Kolle. Ab sofort würde auch ich modern sein! Meine Kinder sollten freizügig aufwachsen, ohne schamlos zu werden. Meine eigenen Eltern hatte ich nie nackt gesehen. An diesem Nachmittag schwor ich mir, dass ich mich nie im Badezimmer einschließen würde. Von mir aus sollten meine Kleinen Doktorspiele machen, wenn es zu ihrer gesunden Entwicklung beitrug. Ich würde sie nicht in Sonntagskleider stecken und mit tausend Vorschriften zu Seelenkrüppeln machen.
    Stolz drehte ich das Radio auf und tanzte zu Liebeskummer lohnt sich nicht, my darling durch die Wohnung. Ich war dreiundzwanzig und frisch verheiratet. Wir lebten im zweiten Stockwerk eines Sechs-Parteien-Mietshauses in einer norddeutschen Kleinstadt. Der Neubau befand sich unweit des mittelalterlichen Stadtkerns, der aus einer Ansammlung winziger Fachwerkhäuser bestand. In meiner Erinnerung sieht mein Heimatort aus wie die Miniaturlandschaft einer Spielzeugeisenbahn. Und heute kommt mir meine Welt von damals ebenso klein vor.
    Als Peter an diesem Abend vom Dienst nach Hause kam, war ich mit der Hausarbeit in Verzug. Er küsste mich nass auf den Mund und tätschelte mit seinen großen Händen meinen Bauch. Alles war riesig an meinem Mann. Die Hochwasserhosen und zu kurzen Ärmelbündchen seiner Strickjacken gehörten ebenso zu seinem Erscheinungsbild wie die gebeugte Körperhaltung. Nur seine Dienstuniform saß tadellos; man hatte sie ihm geschneidert. Peter arbeitete als Schaffner bei der Bahn. Er gab mir Halt, Liebe und Sicherheit. Mehr, als ich als Schulmädchen von einem Ehemann zu erhoffen gewagt hatte. Er war das Beste, was mir im Leben passiert ist.
    Nach dem Abendbrot machte Peter sich an die Reparatur seines Tonbandgeräts und ich wollte, eine Plastikwanne unter den Arm geklemmt, in die Waschküche gehen, um endlich die Maschine Buntes zu waschen. Als ich auf den Flur hinaustrat und die Wohnungstür hinter mir zuzog,
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