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Delikates zum Dessert

Delikates zum Dessert

Titel: Delikates zum Dessert
Autoren: Katinka Dietz
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vernahm ich ein Geräusch an der gegenüber liegenden Tür. Dann ein kaum merklicher Schatten in meinem Augenwinkel: Der Türspion war zugefallen.
    Der neue Nachbar!
    Wir waren uns noch nicht begegnet, seit er eingezogen war. Ich schämte mich ein bisschen, als ich die Stufen hinunterging. Hoffentlich hatte er nicht allzu genau hingesehen, dieser Jochen Krause. Ich trug eine Trevira-2000-Hose und eine altbackene, gemusterte Kittelschürze aus Polyester, die ich mir von meiner Mutter ausgeliehen hatte. Umstandskleider konnten wir uns nicht leisten. Meine Blusen spannten so über den Brüsten, dass ich sie nicht mehr anziehen konnte. Ich nahm mir vor, wieder mehr auf mich zu achten. Seit ich aufgehört hatte, im Laden zu arbeiten, war ich nachlässig mit mir geworden. Ich sollte wirklich nicht in Schürze und Pantoffeln vor die Tür gehen …
    Da Peter sagte, er würde das Natürliche an mir lieben, trug ich mein dunkelblondes Haar schulterlang und machte recht wenig Aufhebens um meine Frisur. Doch manchmal hätte ich schon gerne ausgesehen wie die Hausfrauen in der Reklame. Die hatten die Aura von Filmstars, wenn sie ihre Fenster streifenfrei putzten.
    Während ich die Trommel mit Wäsche füllte, fiel mir ein, was meine Nachbarin Frau Rohde aus dem Erdgeschoss mir neulich zugetragen hatte: Aus der Großstadt käme der Herr Krause und in die Provinz wäre er gezogen, weil er eine Anstellung als Abteilungsleiter in der Kugellagerfabrik angenommen hätte.
    „Hat ein mächtig schickes Auftreten“, schnatterte sie. „Aber Ende dreißig und schon geschieden …?“, fragte sie spitz. Sie, die sie mit ihren 27 noch nicht einmal verheiratet war! „So, wie der aussieht, war er in einem dieser Hamburger Beatschuppen zu Hause.“
    In genau so einem Lokal sah ich mich wild tanzen, als ich die Treppe wieder hinauf ging. In meiner Vorstellung trug ich einen Minirock und hellblonde, toupierte Haare. Ich erschrak: Jemand stand auf dem Treppenabsatz vor unserer Wohnungstür. Krause! Sein Apartment stand offen und ich konnte Rock’n’Roll-Musik aus dem Inneren hören.
    „Tach, Frau Rottmann. Wollte mich mal vorstellen“, sagte er in dem hanseatischen Singsang, den ich so gerne hörte.
    Dabei lächelte er nicht.
    Ich blieb zwei Stufen unter ihm stehen und schüttelte die Hand, die sich mir entgegenstreckte. In diesem Moment ging das Treppenhauslicht aus. Ich wollte mich ihm entziehen, aber er hielt meine Hand in der Finsternis fest und betätigte mit der anderen den Lichtschalter. Ganz langsam ließ er wieder locker und ich bekam meine Finger frei. Mir stieg die Hitze in Wangen und Ohren. Hatte er es etwa darauf angelegt, mich abzupassen? Ich musterte ihn verstohlen. Seine Mimik war geradezu starr.
    „Soso, schon im Oktober“, sagte er mit tiefer Stimme, als ich seine Frage beantwortet hatte. „Steht Ihnen gut, die Schwangerschaft.“
    Er hätte lächeln müssen. Dann hätte der Satz unverfänglicher geklungen. Aber so todernst, wie er ihn vorbrachte …
    Er blickte mir in die Augen, als er leise sagte: „Ich habe sie schon ein paar Mal gesehen. Sie sind mir aufgefallen.“
    Ich spürte, wie mein ganzes Gesicht in Schamesröte aufflammte. Ich wandte ihm den Rücken zu. Wie jemand, der sich in sich selbst verheddert hatte, stocherte ich mit dem Schlüssel in unserem Schloss herum.
    „Denn man bis die Tage“, rief er und zog seine Tür zu.
    War das ein Lachen zum Schluss? Mein Herz klopfte bis zum Hals, als ich unsere Wohnung betrat.
    „Wird dir die Hausarbeit langsam zu viel, Mädchen? Bist ja puterrot“, fragte Peter. „Kann ich dir was abnehmen?“
    „Lass mal. Treppensteigen ist prima im fünften Monat“, winkte ich ab.
     
    Tags darauf hatte ich Kopfschmerzen, was daran lag, dass ich auf Lockenwicklern geschlafen hatte. Als ich das Geschirr abwusch, sah ich die dunklen, nach vorne gekämmten Haare des Nachbarn vor mir. Wie tief sie ihm in die Augen fielen! Und die langen Fransen über den Ohren und im Nacken: Derartig frisiert sah man hier im Ort keine Menschenseele. Beim Staubwischen blickten mich seine durchdringenden, grauen Augen an. Ich sah den weißen Rolli unter dem neumodisch geschnittenen Cordanzug vor mir, als ich den Hosensaum von Peters biederer Freizeithose kürzte. Der Nachbar wirkte so zart, so feingliedrig.
    Steht Ihnen gut, die Schwangerschaft. Was wollte er denn bitte damit sagen? Er wusste doch gar nicht, wie ich sonst aussah. Wahrscheinlich hatte er bemerkt, wie schrecklich dünn ich war und
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