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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch
Autoren: Markolf Hoffmann
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Geist zu verwirrt, um den Untergang Nandars zu bemerken?«
    Der Schattenspieler spitzte die Ohren. Trotz des anhaltenden Grollens vernahm er eine Stimme, ein Schluchzen, erkannte einige Wortfetzen. Doch sie wurden von einem zweiten Geräusch überdeckt, einem Knurren, das aus dem hinteren Teil des Gartens drang. Der Schattenspieler wandte den Kopf und entdeckte unweit des Pavillons einen Holzverschlag. Er war mit einem Gatter umzäunt; dahinter lauerten zwei Hunde: zottiges Fell, gedrungene Körper, grobe Tatzen und Zähne. Wildhunde! Das Wölfische ihrer Bewegungen, ihr Zähnefletschen und die starren Blicke waren schrecklich anzuschauen. Sie blafften ihn an und schlichen hinter dem Gatter umher; doch das Erdbeben hatte auch sie eingeschüchtert.
    Er ließ die Scherenschnitte sinken. »Binhipar, du Schurke! Warum quälst du deinen Gefangenen so? Du führst ihm diese Meute vor Augen, mutest ihm zu, sie Tag für Tag zu sehen und ihr Gebell anzuhören. Hast du kein Herz in deiner Brust, du Lump? Hast du ihn nicht genug leiden lassen?«
    Sein Blick kehrte zum Fenster zurück. Eine Bewegung hinter den Gitterstäben - dort, ein bleiches Gesicht; ein Mann, die Augen weit aufgerissen. Ihre Blicke trafen sich. Der Schattenspieler hob die Hand und winkte dem Gefangenen zu. Doch dieser schreckte vom Fenster zurück.
    »Ich komme, um dich zu holen«, wisperte der Schattenspieler. »Du mußt mir folgen, hinab ins Verlies, bevor Nandar untergeht - ja, ich werde dein Retter sein!« Er strich sein zottiges Haar zurück. Dann sprang er auf und kehrte ins Innere des Pavillons zurück. Die Schatten verschluckten ihn. Nur seine Schritte waren zu hören: Stiefel auf steinernen Treppenstufen, die in die Tiefe führten.
    Auch in der Burg waren die Erschütterungen des Bebens zu spüren. Nirduns Fundamente ächzten, Risse krochen an den Decken entlang, Ziersäulen gaben dem Druck nach und fielen in sich zusammen. Doch schließlich kam der Untergrund wieder zur Ruhe.
    Im Rundsaal von Nirdun knieten die Angehörigen der Fürstenfamilie, umringt von Klippenrittern, die mit Schilden ihre Köpfe schützen. Nun richteten sich alle auf und lauschten dem Nachhall des Bebens. »Ihr müßt von hier fort, Herrin!« Ein Mann in der grünen Tracht der Malkuda-Loge, der sich während des Erdstoßes auf dem Boden des Saals zusammengekauert hatte, stürzte auf die Fürstin zu. »Wir können den Zorn der Quelle nicht länger aufhalten.«
    »Wir bleiben.« Darna Nihirdi, eine untersetzte Frau mit weichen Gesichtszügen, wirkte entschlossen. »Solange mein Gemahl nicht zurückgekehrt ist, kann ich die Stadt nicht verlassen. Ihr habt geschworen, ihren Untergang hinauszuzögern, Zauberer - nun haltet Euer Wort!«
    Der Zauberer tupfte sich den Schweiß von der Stirn. Seine Gesichtszüge waren unter der weißen Schminke kaum zu erkennen. »Ich habe alles versucht, Herrin. Gemeinsam mit meinen Schülern habe ich mächtige Schutzzauber über die Burg gelegt; doch wenn die Magie einer Quelle entfesselt ist, sind auch sie wirkungslos. Das Auge der Glut ist unberechenbar.«
    »Ihr sprecht wie ein Feigling!« Blidor Nihirdi, der Sohn Binhipars, klopfte sich den Staub aus dem Mantel. Er war ein Mann von vierzig Jahren, breitschultrig und grimmig wie sein Vater, beinahe Binhipars Ebenbild, wenn man von den helleren Augen und dem glattrasierten Kinn absah. »Wir haben Euch hier in Nandar aufgenommen, als Eure Logenburg im Arkwald zerstört wurde. Nun zahlt Eure Schuld zurück und verteidigt die Stadt gegen diesen Angriff!«
    Der Zauberer wirkte verzweifelt. »Nhordukael ist zu stark. Anfangs glaubte ich, er habe sich die Quelle von Thax mit Gewalt unterworfen - in diesem Fall hätte es genügt, ihre äußere Schicht zurückzudrängen. Doch wie es scheint, gehorcht das Auge der Glut ihm aus freiem Willen. Die Quelle wird durch keine Zauber in Bann gehalten, und ihre Macht wirkt in Nandar ebenso wie in Thax. Wir können die Stadt nicht mehr retten.«
    Darna Nihirdi zögerte. »Vor sechs Wochen erreichte uns die Botschaft, daß mein Gemahl das Attentat von Vara überlebt habe und sich auf dem Weg nach Nandar befinde. Er wird kommen … und so lange werde ich hier ausharren.«
    Blidor nickte zustimmend. »Vaters Nachricht war eindeutig; er befahl uns, auf ihn zu warten. Wenn er nicht auf der Flucht gefangen oder erschlagen wurde, wird er kommen! Wir müssen Geduld haben …« Schritte auf dem Flur; die Türen des Saals wurden aufgerissen. Darna und Blidor wandten die Köpfe.
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