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Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci
Autoren: O Buslau
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einen der Bäume, die den Kanal säumten, hinaufgeklettert
war. Wie eines dieser menschähnlichen Tiere, die manchmal den Weg aus Afrika in
die Kuriositätenkabinette der Adligen oder der Wissenschaftler fanden.
    Quantz hatte Andreas
behandelt, als sei er ein normaler Mensch. Dabei war er ein Idiot. Oder spielte
wenigstens die Rolle des Idioten. So ganz klar war das nicht. Denn Andreas
sprach kein Wort.
    Die Wache kam heran.
Der Mann verbarg sich ganz im Dunkel des Hauses hinter ihm und versuchte,
möglichst geräuschlos die Tür wieder in die Öffnung zu schieben. Der staubige,
herbe Geruch nach abgeschlagenem Mörtel und feuchtem Holz umgab ihn.
    Die Tritte der
Soldaten waren sehr nah und zogen vorbei. Die Marschtritte verklangen in der Ferne.
Der Mann zählte zwanzig Herzschläge.
    Jetzt wagte er sich
wieder auf die Straße. Er bekam das Haus von Quantz genau in dem Moment in den
Blick, als sich Andreas vom Baum schwang und davonrannte.
    ***
    Quantz war
ein langes Stück am Kanal entlanggelaufen. Als er an die Beckergasse gelangte,
wo die hell erleuchtete Stadtwache lag, gab er es auf, den Jungen zu verfolgen.
    Es hatte keinen
Sinn. Und er würde sich lächerlich machen: Ein gestandener Bürger, im hohen
Sold des Königs, der einem Lakaien nachlief …
    Ohne von einer
Patrouille angehalten zu werden, erreichte er sein Zuhause. Kaum hatte er den
Hausflur betreten, öffnete sich die Tür zu dem Soldatenquartier.
    Kerzenschein drang
heraus. Im Türrahmen stand eine bullige Gestalt und kratzte sich am Kopf.
    »Muss das sein, ein
solcher Lärm mitten in der Nacht?«, dröhnte die Stimme des Grenadiers. Er stand
barfuß in Hemd und Hose da. »Es sind nur noch wenige Stunden bis zum
Morgenappell, Herr Quantz, und die würden wir gern schlafen.«
    Der Geruch nach den
Ausdünstungen ungewaschener Körper und der nicht minder unreinen Wäsche und
Uniformen, der ihm aus der Stube entgegenkam, verursachte bei Quantz Übelkeit.
Er überlegte, welcher der beiden vor ihm stand. Es war nicht leicht, sie
auseinanderzuhalten. Der eine hieß Trakow, der andere Sperber. Wahrscheinlich
hatte Quantz Trakow vor sich. Er besaß eine gezackte Narbe neben dem Mund, eine
blasse Linie, die man aber in diesem Licht kaum erkennen konnte.
    »Ist schon gut, es
wird jetzt Stille herrschen.«
    »Das hoffen wir«,
brummte der Grenadier und zog sich zurück.
    Quantz erklomm die
Treppe und bemühte sich, leise aufzutreten. Oben erwartete ihn ein Lichtschein.
Da stand Sophie mit einer Kerze. In ihrem Nachtgewand ähnelte die Magd einem
Gespenst. Doch ihr ovales, ebenmäßiges Gesicht, das an eine Madonna erinnerte,
jagte Quantz keinen Schrecken ein. Im Gegenteil.
    »Ist jemand da
gewesen?«, fragte sie mit einer Spur Ängstlichkeit in der Stimme.
    »Ich erzähle es dir
morgen«, sagte er. »Es ist nichts, was dich beunruhigen müsste.«
    Sie gab ihm
schweigend das Nachtlicht und kehrte in ihre Kammer zurück.
    Quantz blieb
unschlüssig stehen, und da tauchte, als habe es ihn die ganze Zeit begleitet,
das Thema für sein Konzert wieder in ihm auf. Er eilte in seine Arbeitsstube
zurück, stellte das Licht hin und nahm ein neues Blatt Notenpapier. Sechs
Takte, acht …
    Der alte Vivaldi aus
Venedig hatte das Prinzip entwickelt, es selbst anhand Hunderter Werke für die
verschiedenen Instrumente angewandt und sogar Quantz einst eine Lektion darin
erteilt, wie man Konzerte gewissermaßen aus dem Ärmel schüttelte.
    Über zwanzig Jahre
war das jetzt her. Es war am Vorabend von einer der legendären Aufführungen von
Vivaldis Opern gewesen – einem Spektakel, das weit bis in die Nacht gedauert
hatte. Danach hatte sich der Venezianer – obschon geweihter Priester und offiziell
im Zölibat lebend – mit der Sängerin Anna Giraud in einen der berüchtigten
venezianischen Karnevalsbälle gestürzt. Quantz schwelgte in der Erinnerung an
die feuchtschwüle Atmosphäre dieses Abends, an die bunten Masken und
aufreizenden Kostüme, an den rot leuchtenden Wein, die ebenso roten Lippen der
maskierten Damen, die rasenden Klänge des Orchesters. Den Rausch der Jugend …
    Einen Moment war er
versucht, sich in Sophies Schlafkammer zu schleichen, was er hin und wieder tat
und was sie ihm nicht verwehrte, doch dann riss er sich zusammen und
konzentrierte sich auf seine Arbeit.
    Man erfand ein
möglichst mitreißendes Kopfthema, das die Streicher vorstellten, während das
Soloinstrument noch schwieg. War es einmal gefunden, leitete man aus einer der
kleinen Notengruppen
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