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Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci
Autoren: O Buslau
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gebellte Befehl eines Offiziers
der Schlosswache.
    Entschieden und
überraschend laut schlug nun jemand im Konzertraum auf dem Klavier Töne an. Es
war eine feste, klare Folge von Noten. Andreas zuckte vor Schreck zusammen,
beruhigte sich jedoch gleich wieder, denn die Melodie faszinierte ihn. Das war
etwas anderes als die Flötenkonzerte. Die Töne stiegen auf wie Stufen einer
Treppe. Langsam, fast bedächtig, aber felsenfest wie ein Fundament, das bereits
ein imposantes Gebäude erahnen ließ. Streng und hart. In Stein gehauen.
    Unerwartet sprang
die Linie in die Tiefe, schien einen Moment Kraft zu sammeln, um dann den
Tonraum weiter auszufüllen. Fest wie Granit, erzeugte sie in Andreas ein Bild
von der gezackten Linie eines mächtigen Gebirges vor blankem Himmel. Eine
zweite Stimme flocht sich ein, eine dritte. In engen Verzahnungen schritt die
Musik voran, immer reicher wuchsen die Harmonien, als errichte der
Klavierspieler auf dem Felsengrund seines Themas eine gewaltige Kathedrale.
    Niemand anders als
der Fremde spielte diese Musik. In seinen zwei Dienstjahren am Potsdamer Hofe
hatte Andreas niemals so etwas vernommen.
    Das majestätische
Thema wanderte weiter, zog immer neue Stimmen und Harmonien mit sich – wie eine
Offenbarung, eine alte, Ehrfurcht einflößende Prophezeiung. Wieder und wieder
tauchte in dem Geflecht das ursprüngliche Thema auf, dessen Noten Andreas aus alter
Gewohnheit zählte. Er kam auf einundzwanzig. Als die Musik verklang, hatte es
sich tief in sein Bewusstsein gegraben.
    Und noch spät in der
Nacht, als er in der Dienerkammer auf seinem Lager ruhte, pendelten die Töne in
seinem inneren Ohr dahin wie ferne Glockenschläge.
    Der Morgen graute,
und Andreas hatte kaum Schlaf gefunden. Als der Weckruf kam, tönte ihm immer
noch die strenge Melodie in den Ohren. Schmerzlich wurde ihm klar, dass ihm die
Konzerte des Königs nicht mehr genügen würden.
    Der Fremde hatte die
wahre Musik nach Potsdam gebracht.

1
    Potsdam, ein Jahr später
    Das leise
Kratzen war das einzige Geräusch in der nächtlichen Schreibstube, in der Johann
Joachim Quantz, königlicher Musiklehrer und Kammermusiker, die Feder über das
Notenpapier führte.
    Von der
Nikolaikirche hatte es Mitternacht geschlagen. Wie jede Stunde hatte das
Glockenspiel der Garnisonkirche fast gleichzeitig seine Melodien in den Himmel
geschickt. Um diese Zeit waren in der Stadt nur noch die Patrouillen der Wache
unterwegs.
    In Quantz’ Haus am
Potsdamer Kanal herrschte Stille. Im Erdgeschoss waren – ganz nach der
Bürgerpflicht – zwei Soldaten des Leibregiments einquartiert, deren Schnarchen
manchmal heraufdrang. Doch heute war nichts von ihnen zu hören, und Quantz
konnte sich auf das konzentrieren, was er in seinem Inneren erlauschte: den
Beginn einer heiteren, unbeschwerten Flötenmelodie, ein Thema für den ersten
Satz eines neuen Konzerts. Die beiden anderen Teile – ein ausgedehntes,
gesangliches Arioso und ein flottes Finale – hatte er bereits seit Tagen
fertig. Den König würden diese Sätze erfreuen, aber ein Konzert war nichts ohne
einen guten Beginn.
    Schon beim
Abendessen war Quantz diese Melodie in den Sinn gekommen – ein wenig pompös
vielleicht, aber trotzdem lebhaft und vorandrängend. Elegant und doch voller
Elan und Geist.
    Leider war sie ihm
wieder entfallen, als er in seinem Arbeitszimmer stand. Die Noten, die er, ein
Stück kalten Braten im Mund, deutlich in seinem Inneren gehört und vor seinem
geistigen Auge auf dem imaginären Notenpapier gesehen hatte, waren wie weggeblasen.
Sie hatten sich verflüchtigt wie eine beleidigte Diva. Als habe es sie nie
gegeben.
    Quantz legte die
Feder hin und wischte sich die von Tinte befleckten Finger ab. Seine innere
Stimme, die genauso klang wie das schneidende böhmische Organ seines alten Lehrers
Zelenka, erhob Einspruch.
    Das
soll ein Konzert werden?
    Diese
banalen Noten?
    Du
schreibst für einen König und nicht für eine Bauernkapelle.
    Du
willst ein Kammerkomponist sein?
    Und
du kannst dir noch nicht mal eine einfache Melodie merken, die du dir selbst
ausgedacht hast. Du bist nicht würdig, das hohe Amt des königlichen
Compositeurs zu bekleiden, wenn du dich bei jedem neuen Werk anstellst wie ein
blutjunger Anfänger …
    Er wandte sich von
dem Pult ab. Die Dielen knarrten, als er die wenigen Schritte zum Schrank
zurücklegte, wo er die Kopien seiner bisherigen Werke aufbewahrte.
    Wie viele Konzerte
hatte er bisher geschrieben? Es mussten mehr als zweihundert
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